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Wut und Böse - Ein Sachbuch über weibliche Wut

Ciani-Sophia Hoeder nimmt sich im Sachbuch "Wut und Böse" der weiblichen Wut an. Ist Wut eine destruktive Emotion, die wir unterdrücken sollten, und die gesellschaftlich zu recht geächtet wird? Oder vielleicht ganz im Gegenteil? Kommt mit auf eine emotionale Spurensuche!


Wut und Böse - Ciani-Sophia Hoeder (hanserblau 2021)

Startpunkt für Ciani-Sophia Hoeders Buch ist folgende Feststellung:


"Unsere kulturellen Erwartungen an Geschlechterrollen halten Mädchen und Frauen weltweit davon ab, ihre Wut auszuleben." (S. 10)

Während Wut bei Männern Eindruck macht, sie stark und bestimmt erscheinen lässt, wird Frauen ihre Wut abgesprochen. Die Autorin - freie Jorunalistin und Gründerin des RosaMag - geht der Frage nach, warum männliche und weibliche Wut so unterschiedlich wahrgenommen wird. Sie wählt dabei eine intersektionale Herangehensweise, so dass insbesondere auch ersichtlich wird, wie sich bei der Wut Diskriminierungsformen wie Sexismus und Rassismus überschneiden. Auch Diskriminierung von transidenten Menschen ist ein Thema im Buch.


Weibliche Wut und Frausein

Wenn wir über weibliche Wut sprechen, stellt sich natürlich die Frage, was unter "Frau" überhaupt verstanden wird. Die Datengrundlagen sind zwar leider meist rein binär. Ciani-Sophia Hoeder versteht den Begriff "Frau" aber als soziologischen Begriff, der das ganze Spektrum von Weiblichkeit abdeckt. So wird deutlich, dass "Frausein" komplex und vielschichtig ist, trotzdem bleibt der Begriff "Frau" hilfreich


"... nicht als Identität, sondern als Name für eine imaginäre Gemeinschaft." (S. 19)

In den weiteren Kapiteln geht die Autorin der Emotion Wut auf den Grund, nimmt sich dem Phänomen der "Wut-Ära" (Stichwort Wutbürger, Protestparteien) und stellt es der scheinbar nicht vorhandenen Wut von Frauen gegenüber. Das führt sie zur Frage, wann Frauen ihre Wut verlieren. Die erschreckende Erkenntnis: Schon mit 3 Jahren haben Kinder Geschlechterrollen internalisiert und die nicht genderneutrale Erziehung zementiert die Unterschiede weiter:


"Unser Geschlecht wird erlernt. Wut nicht so richtig oder zumindest nicht gleichmässig. Eltern gehen überproportional auf die Wut von Jungen ein, gleichzeitig wird sie bei Mädchen übersprungen und ausgespart." (S. 51)

Das hat zur Folge, dass Mädchen und Frauen nicht lernen, mit ihrer Wut effektiv umzugehen. Ja, mit der Zeit nehmen sie sie nicht mal mehr als solche wahr, sondern missdeuten sie als Traurigkeit.


"Somit wird Wut, eine evolutionär-biologisch relevante Grundemotion, ausradiert. Das führt dazu, dass wir die Wut von Frauen, obwohl sie sie genauso häufig wie Männer spüren, als deplatziert empfinden." (S. 51)

Wut wird zu einem cis-männlichen, überwiegend heterosexuellen und weissen Privileg. Der Trend der Selbstoptimierung und Selbstkontrolle spielt der Negierung weiblicher Wut noch in die Hände.


"Die toxische Positivitätsbewegung vertritt die Überzeugung, dass es eine Frage der Einstellung ist. Das wiederum suggeriert, dass ich als Individuum für strukturelle Herausforderungen verantwortlich bin und diese auch ganz allein ändern kann." (S. 71)

Vielleicht versteht ihr jetzt meine Abneigung gegen diesen Trend, den ich hier schon an der ein oder anderen Stelle angesprochen habe. Ich fühle mich jedenfalls durch Ciani-Sophia Hoeders Ausführungen sehr bestätigt in meiner Skepsis gegenüber den allseits grassierenden Positivitätsaufrufen, -methoden und -coachingangeboten. Und das gilt aus feministischer Sicht, aber umso mehr aus der Perspektive von Rassismus, Transfeindlichkeit oder anderen Diskriminierungsformen, die sich in unsere Geschichte und Sozialisierung eingeschrieben haben.


Unterdrückte Wut und ihre Folgen

Im Weiteren geht Ciani-Sophia mit zahlreichen Beispielen von Greta Thunberg, über Angela Merkel und Alice Schwarzer, bis zu Rosa Parks, Audre Lord und der Medusa aus der griechischen Mythologie darauf ein, welche Folgen es hat, wenn Frauen ihre Wut unterdrücken oder ausgedrückte Wut nicht ernstgenommen, abgewertet und ignoriert wird. Dabei ist Wut eine wichtige Emotion, die auf Ungerechtigkeiten hinweist. Sie zu unterdrücken führt zu psychischen und physischen Problemen (wie Essstörungen, Kopfschmerzen, Angstzustände oder Depressionen) und verhindert Wandel - insbesondere in Bezug auf die Gleichstellung.


Am Ende plädiert sie dafür, uns unsere Wut zurückzuerobern, Wut nicht als Schwäche, sondern als Stärke zu deuten. Wut als das anzunehmen, was sie ist: eine "normale" Emotion.


Zugängliches Sachbuch mit wichtiger Botschaft

Ciani-Sophia Hoeder gelingt es sehr gut, die Sachverhalte mit Studien, Theorien, Erfahrungsberichten und aktuellen sowie historischen Beispielen nachvollziehbar zu machen. Das Sachbuch ist leicht lesbar und regt zum Nachdenken über die eigene - vielleicht unterdrückte oder ignorierte - Wut an und wie wichtig es ist/wäre, sie in konstruktive Kanäle zu lenken.


Für meinen Geschmack, hätte man den Text noch etwas straffen können. Er hat noch etwas viele Wiederholungen, die aber vielleicht nützlich sind, wenn man das Buch nicht am Stück liest. Die gendersensible und rassismuskritische Sprache schätze ich sehr. Wenn dann allerdings die Rede von "Vorbilder*innen" ist, hört mein Verständnis auf. Das sind aber kleine Abstriche, die den Wert des Buches keinesfalls schmälern sollen!


Wovon ich mir wirklich mehr gewünscht hätte ist, was wir denn nun tun sollten, wie wir uns individuell und kollektiv unserer Wut bewusst werden und sie in konstruktive Kanäle lenken könnten. Es wäre also noch Bedarf für einen Folgeband! Ich würde ihn mit Interesse lesen.


Fazit

Ciani-Sophia Hoeder macht mit theoretischem Fundament, sprechenden Beispielen und eigenen Erfahrungen klar, wie wichtig es ist, weibliche Wut wahrzunehmen, anzunehmen und (konstruktiv) auszuleben. Ihr Sachbuch "Wut und Böse" bietet eine gute Auslegeordnung, wie weibliche Wut aus unserer Wahrnehmung verschwunden ist, welche Diskriminierungsmechanismen bis heute spielen und wie wichtig es wäre, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Erobern wir uns unsere Wut zurück!


Hörtipp: Wer mehr über das Buch erfahren möchte, kann sich auch die Podcastfolge 37 von "Die Buch" anhören.


Die Fakten

Ciani-Sophia Hoeder

hanserblau

208 Seiten

Erschienen am: 27.09.2021

Hardcover

ISBN: 978-3-446-27115-9




PS: Herzlichen Dank an hanserblau (Hanser Literaturverlage) für das Rezensionsexemplar.

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