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Und alle so still

(Werbung) Mareike Fallwickl stellt sich in ihrem neuen Roman "Und alle so still" die Frage, was passiert, wenn Frauen finden, es sei längst 5 nach 12 und sich einfach hinlegen, still protestieren, alle Care verweigern. Ein feministischer Roman, den man je nach Sichtweise als utopisch, dystopisch oder schlicht als realistisch betrachten kann.


Und alle so still - Mareike Fallwickl (Rowohlt 2024)

In "Und alle so still" wirft uns die österreichische Autorin (und Vermittlerin feministischer Literatur) Mareike Fallwickl mitten in ein Gedankenexperiment, das sich wohl genau so ereignen könnte. Ja, vielleicht ereignen müsste, damit sich etwas ändert - an der Ausnutzung von Arbeiter*innen, am Pflegenotstand, an unserer misogynen Gesellschaft: Was würde passieren, wenn Frauen nicht mehr arbeiten würden? Sich nicht mehr um andere sorgen würden - weder privat noch beruflich?


Genau das passiert an einem Sonntag in einer namenlosen Stadt und die drei Protagonist*innen Elin, Nuri und Ruth müssen sich irgendwie zu diesen Ereignissen verhalten, versuchen, sie zu deuten, entscheiden, ob sie da mitmachen oder nicht und zu welchem Preis.


Die Verlierer*innen von Patriarchat und Kapitalismus

Elin ist eine einundzwanzigjährige Influencerin, die bei ihrer alleinerziehenden Mutter von Klein auf feministisch aufgewachsen ist und doch sieht sie sich als Person, die sich öffentlich zeigt, von der Öffentlichkeit lebt, der ganzen, riesigen misogynen Sch**sse des Internets gegenüber. Und eines Tages tritt die sexualisierte Gewalt auch in ihr "reales" Leben.


Nuri hingegen ist mit einem dominanten, wenn auch nicht körperlich übergriffigen, Vater und einer sozial isolierten Mutter, die ursprünglich als Haushälterin aus Sri Lanka zur Familie stiess, aufgewachsen. Einen Schulabschluss hat er nicht in der Tasche und so versucht er, sich mit mehreren schlechtbezahlten Jobs ein unabhängiges Leben zu erkämpfen.


"Nach einer Weile hat er verstanden, dass er, sobald er die Schwelle des Krankenhauses übertritt, ein funktioneller Teil eines riesigen Apparats wird, seiner Persönlichkeit enthoben, seines Menschseins auch, dass sein Körper unsichtbar wird, obwohl es genau das ist, was gebraucht wird, dieser Körper und seine Kraft." / S. 37

Bei einem dieser Jobs begegnet er jeweils Mittfünfzigerin Ruth, die als Pflegekraft im Krankenhaus arbeitet und da täglich versucht, in einem völlig maroden System, Menschen am Leben zu erhalten. Nicht immer gelingt das. Ihre Kollegin Marta kommt sogar zum Schluss:


"«Es ist längst zu spät», hat Marta auch gesagt, «das Gesundheitswesen ist ein hohes Gebäude, das in die Luft gesprengt wurde. Wir sind im dreißigsten Stock, wir haben noch nicht bemerkt, dass wir uns im freien Fall befinden.»" / S. 134

Von Menschen und Pistolen

Mareike Fallwickl wechselt sehr gekonnt die Perspektiven dieser drei Hauptprotagonist*innen, bringt uns ihre Persönlichkeiten, ihr privates und berufliches Umfeld näher, ihre Struggles, ihre Zukunftsträume und -ängste näher. Sie schildert die Geschehnisse sehr direkt, sehr körperlich (manchen Leser*innen könnte das auch zu viel sein), so herabwürdigend, so klebrig, so blutig wie es ist. Insbesondere die Szenen im Krankenhaus basieren auf wahren Geschichten, die Frauen der Autorin erzählt haben (mehr dazu erfahrt ihr zum Beispiel im Gespräch von Maria Christina Piwowarski mit Mareike Fallwickl auf Instagram).


"Die Frauen liegen da wie hingeworfen, ihre Körper scheinen keinem Muster zu folgen. Sie sehen aus wie etwas Zerschmettertes. Aber verletzt sind sie nicht." / S. 81

Die Handlung wird hauptsächlich durch diese drei Perspektiven vorangetrieben, die im weiteren Verlauf auch aufeinandertreffen. Was ich aber besonders genial finde, ist, dass Mareike Fallwickl auch noch eine Pistole, eine Gebärmutter und die Berichterstattung zu Wort kommen lässt. Mit diesen Episoden aus ungewöhnlicher Perspektive - ja, sie alle sprechen direkt zu uns - steigert sie einerseits die Spannung und bettet die Geschehnisse des Romans andererseits auch in die gesellschaftliche Realität ein. So stellt etwa die Gebärmutter lakonisch fest:


"Über alles, was mit mir geschieht, entscheiden Männer. " / S. 31

Dazu, wie die Männer in "Und alle so still" auf die protestierenden, sich verweigernden Frauen reagieren, möchte ich nicht zu viel verraten. Aber die Frauen selbst entwickeln eine grosse Solidarität, fühlen sich schnell auch komplett Fremden freundschaftlich verbunden. Es ist zwar unklar, was das Ziel des Protests ist, was das Ziel sein soll, aber eins ist klar: Sie wollen es gemeinsam herausfinden. Die Frage ist nur, auf welche Widerstände sie stossen und wie weit sie gehen.


Abgesehen vom klugen Aufbau, von der direkten und sehr "fühlbaren" Sprache, der Spannung und der geschilderten Schwesternschaft gefällt mir an dem Roman auch, dass Personen und ihre Beziehungen nicht in Schubladen gesteckt werden. Ob nun jemand hetero ist oder queer, wird nicht weiter diskutiert, muss gar nicht definiert werden - im Fokus stehen die menschlichen Beziehungen. Und hier wiederum zieht die Autorin keine künstlichen Grenzen zwischen Freundschaft und Liebe - das bleibt oft in der Schwebe bzw. braucht einfach kein Etikett.


Fazit

"Und alle so still" von Mareike Fallwickl ist ein aufrüttelnder Roman, der mich regelrecht müde gemacht hat. Nicht, dass ich nicht hätte weiterlesen wollen oder mögen, aber die ganze Last der Frauen (und auch all der Arbeiter*innen in prekären Arbeits- und Lebensumständen) legt sich beim Lesen so schwer auf einen, dass man sich am liebsten dazulegen möchte. Ein intensives Leseerlebnis, das trotz Stille nicht lauter nachhallen könnte!


Die Fakten

Mareike Fallwickl

Rowohlt

368 Seiten

Erschienen am 15.04.2024

Hardcover mit Lesebändchen

ISBN: 978-3-498-00298-5





PS: Herzlichen Dank an den Rowohlt Verlag für das Printexemplar und NetGalley für das E-Book zum Vorablesen.



Weitere feministische Romane und Erzählungen bei mint & malve


Übrigens: Mareike Fallwickls Leselisten unter dem Motto "Angry Female Book Club"



Hörbuch "Und alle so still" - Mareike Fallwickl (Argon 2024)

"Und alle so still" auf Storytel hören

Mareike Fallwickls neuen Roman "Und alle so still" gibt es auch als Hörbuch bei Argon Verlag. Mit einem Storytel-Account oder einem Probeabo könnt ihr es gratis hören. Gelesen wird es von Marie-Isabel Walke, Henning Nöhren und Astrid Kohrs.


Mit dem Link zum kostenlosen 45-Tage-Probeabo* (statt der üblichen 30 Tage) könnt ihr unverbindlich reinhören und habt zudem Zugang zu über 600'000 weiteren Hörbüchern und E-Books für Gross und Klein! Wir können es nur empfehlen. Wir hören sehr viel, ob nun zuhause oder unterwegs.


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