Talk To My Back - ein feministischer Manga-Klassiker
Für 2024 habe ich mir vorgenommen, auch mal einen Manga zu lesen. Der Zufall wollte es, dass ich auf den feministischen Klassiker "Talk To My Back" der japanischen Zeichnerin Yamada Murasaki gestossen bin.
In "Talk To My Back" (auf Englisch, eine deutsche Ausgabe habe ich nicht gefunden) sind Mangas der Japanerin Yamada Murasaki versammelt, die in den 1980er-Jahren im einflussreichen Magazin Garo als Serie erschienen sind. Yamada Murasaki (1948-2009) war Mangazeichnerin, Poetin, Essayistin und Feministin (mehr erfahrt ihr bei Wikipedia).
Pionierin feministischer Mangas
In ihren Mangas, die den "alternative mangas" zugeordnet werden, hat sie es als allererste Frau gewagt, Geschichten aus einem feministischen Blickwinkel zu erzählen. Es geht darin um ihre Beziehungen zu ihren heranwachsenden Töchtern und dem oft abwesenden (physisch oder psychisch) Ehemann. Und noch zentraler: Um ihre Beziehung zu ihrem eigenen Selbst, ihrem Selbstwert und ihrem Leben über die patriarchalen Rollen der Ehefrau und Mutter. Als Mutter in einem Vorort ging sie für ein paar Jahre ganz in diesen Rollen auf, doch mehr und mehr sucht sie nach neuen Wegen, sich zu verwirklichen, auch eigenständig einen Wert zu haben. Sie findet diesen zuerst in einer Anstellung, dann in der Selbständigkeit mit ihrer Leidenschaft fürs Kreieren und Nähen. Gleichzeitig werden natürlich weiter Erwartungen an sie herangetragen, sei es von den Kindern, die immer pünktlich ihre Mahlzeiten wollen, oder von ihrem Ehemann, der ein gebügeltes Hemd braucht (und sich für rein gar nichts zuständig fühlt im Haushalt).
Auch wenn uns die Themen heute nicht sonderlich revolutionär erscheinen, waren sie es in den 1980ern durchaus, erst recht in der männlich dominierten Manga-Szene (zumindest ausserhalb vom Feld der "Frauen-Mangas" und in der patriarchalen Gesellschaft Japans (auch wenn in den 80ern immer mehr Frauen berufstätig wurden). Kommt hinzu, dass sie als erste realistische Mangas über das Frausein, Ehe und Mutterschaft zeichnete und damit eine Sonderstellung einnimmt und gegenüber anderen weiblichen Mangazeichnerinnen, die Shōjo Mangas (etwa "girls' comics") mit viel Fantasy-Elementen (teils auch recht anarchistisch und sexuell explizit) und für ein jüngeres Publikum zeichneten.
Weibliches Leben im konservativen Japan
Besonders interessant ist bei der Ausgabe von Drawn & Quarterly das Nachwort des Übersetzers Ryan Holmberg, das Yamada Murasakis Werk und Rezeption einordnet. Wie ihre Essays sind auch ihre Mangas eindeutig autobiographisch gefärbt. Ihre anderen Texte und Aussagen von Weggefährtinnen zeigen, dass ihre eigenen Erfahrungen sie dazu veranlasst haben, das Patriarchat und die patriarchalen Rollenmodelle (z.B. die in den 1980ern selbstverständliche Aufgabe des Berufs zu Gunsten der Familie) in Frage zu stellen und Alltagssituationen rund um das Frausein, Mutterschaft und Eheleben künstlerisch zu thematisieren. Ryan Holmberg zufolge war sie dabei noch zurückhaltend, denn das Erlebte (häusliche Gewalt) war weit dramatischer als in ihren Mangas - und Hilfe gab es damals weder von der Familie (Gaslighting, Täter-Opfer-Umkehr) noch von der Polizei ("Wenn es der Ehemann ist, geht es uns nichts an.").
Wenn ihre Arbeit als "Hausfrauen-Comics" oder ähnliches bezeichnet wurden oder sie als Cartoonistin und Mutter von zwei Kindern, machte sie das wütend. Denn man würde ja auch keinen Mann als "daddy-golfer" bezeichnen.
Grafisch sind die Zeichnungen sehr reduziert, aber elegant und abgesehen von der Einstiegsgeschichte in Schwarzweiss gehalten. Ich habe nicht ganz alles verstanden, dafür bräuchte man wohl mehr Kenntnisse vom japanischen (Familien-)Alltag der 1980er und von der japanischen Kultur im Allgemeinen, aber das hat mich nicht gestört. Das Lesen von rechts nach links ist natürlich etwas gewöhnungsbedürftig, aber auch kein Problem, man merkt ja schnell, wenn man versehentlich wieder oben links begonnen hat. ;-)
Die Fakten
Talk To My Back (in English)
Yamada Murasaki (text and illustrations)
Ryan Holmberg (Translation to English)
Drawn & Quarterly
368 pages
Published on 12.07.2022
Paperback
ISBN: 978-1-77046-563-3
Ebenfalls bei Drawn & Quarterly erschienen (erst 2024) ist Murasakis "Second Hand Love" (bei Orell Füssli (CH)*).
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