Stone Blind - Der Blick der Medusa
(Werbung) Lust auf griechische Mythologie, aber mit erfrischend neuem Fokus auf Medusa? Dann versuchen wir es doch mal mit "Stone Blind - Der Blick der Medusa" von Natalie Haynes.
Vorab gilt es wohl zu sagen, dass es in diesem Roman - wie immer in der griechischen Mythologie - ziemlich gewalttätig zu- und hergeht. Wer also Mühe damit hat, liest diese Rezension und das Buch besser nicht.
Neuerzählungen griechischer Mythen
Ihr wisst vielleicht aus früheren Besprechungen, dass ich Bücher über die griechischen Mythen gerne lese, am liebsten Neuerzählungen mit einem feministischen Blick auf die Geschichten der Götter und Göttinnen. Bisher vorgestellt habe ich euch "Galatea" und "Ich bin Circe" von Madeline Miller.
Nun habe ich mich mit "Stone Blind - Der Blick der Medusa" von Natalie Haynes wieder demselben Genre gewidmet. Ein kleines Fazit vorab: Natalie Haynes konnte mich mit ihrer Neuerzählung des Medusa-Mythos oder man könnte auch sagen der Perseus-Sage nicht so überzeugen, wie das Madeline Miller vermochte.
Die weibliche Perspektive
Aber kommen wir zuerst zum Inhalt des Buches: Natalie Haynes erzählt uns in ihrem Roman, wie es überhaupt dazu kam, dass die sterbliche Gorgone Medusa zum bekannten Wesen mit den Schlangenhaaren wurde, dessen Blick (sterbliche) Lebewesen sofort in Stein verwandelte. Sie möchte uns also einen neuen Blick auf das vermeintliche Monster geben, das vielleicht doch vielmehr liebende und geliebte Schwester und Opfer der göttlichen Grausamkeiten war.
Haynes erzählt ihre Geschichte konsequent aus weiblicher Perspektive, einmal sind es die anderen Gorgonen, einmal die Graien, einmal Athene oder Hera, einmal Medusa selbst oder ein Olivenhain (Elaia), die uns erzählen, wie es zu Medusas Verwandlung zum "Monster" kam. In immer wechselnden Perspektiven nähern wir uns in unterschiedlichen Erzählsträngen dem grossen Höhepunkt (bzw. aus Medusas Perspektive der Tiefpunkt) an, der Ermordung Medusas durch den sterblichen Helden Perseus, ein Sohn des Zeus.
"Für Sterbliche sind wir also Monster. Wegen unserer Zähne, unserer Flügel, unserer Stärke. Sie fürchten uns, also nennen sie uns Monster." (S. 271)
Trotz dieser oberflächlich betrachtet weiblichen Perspektive stehen aber oft Perseus, Zeus, Phorkys, König Kepheus, Hermes und andere Männer im Mittelpunkt. Wir erfahren zwar etwas mehr von Medusas Gefühlen und Gedanken, aber sie steht nicht dauernd im Zentrum, ja nicht mal in einem Grossteil des Buches. Da hätte ich mir vom Titel her schon etwas mehr erhofft. Immerhin sind auch die Einblicke in die Seelen von Athene oder der beiden Sterblichen Danaë und Andromeda nicht ganz uninteressant.
Page turner, aber leider ohne den erhofften Tiefgang
Durch die sehr häufig wechselnde Perspektive muss man sich als Leser*in dauernd umstellen, wieder neu orientieren. Das führt zwar dazu, dass sich das Buch recht kurzweilig und abwechslungsreich liest, aber es erschwert es, in die Tiefe zu gehen, sich wirklich einzufühlen. So habe ich "Stone Blind" schnell und gerne gelesen, aber die Charaktere blieben doch etwas oberflächlich und unnahbar. Auch kognitiv ist es eine gewisse Herausforderung, alle Handlungsstränge, Personen, ihre Taten und Wege zusammenzuhalten und der Geschichte zu folgen. Kenner*innen der griechischen Mythologie werden hier natürlich einen leichteren Zugang finden als Leser*innen, die sich noch kaum mit der Thematik befasst haben.
Natalie Haynes lässt zwar manchmal ihren Witz und ihre Ironie aufblitzen, etwa wenn sie Beschreibt, wie die Gorgonen (unsterbliche "Monster" mit riesigen Stosszähnen, Schlangen als Haaren und schuppigen Körpern) aber das gelingt ihr lange nicht so gut wie beispielsweise Madeline Miller (oder auch Michael Köhlmeier in seinen "Sagen des klassischen Altertums"*).
Schliesslich wird zwar deutlich, dass Medusa nicht einfach ein schlangenhaariges Monster war, sondern von Poseidon vergewaltigt und danach auch noch der Rache von Athene zum Opfer fällt und dass sie darüber hinaus von ihren zwei unsterblichen Schwestern Stheno und Euryale abgöttisch geliebt wurde.
"Sie [Stheno, A.d.R.] hatte noch nie Angst um ein anderes Wesen gehabt. (...) Doch dann war da plötzlich Medusa, die von allem Möglichen verletzt werden konnte, sogar von einem Stein." (S. 27)
Im Gegensatz zu Circe oder Galatea in Millers Büchern findet aber keine nennenswerte Emanzipation statt, so dass sich der feministische Aspekt des Romans in der weiblichen Perspektive auf die Perseus-Sage erschöpft. Ich bin gespannt, ob Natalie Haynes sich im bereits angekündigten Folgeband "A Thousand Ships - Die Heldinnen von Troja" noch steigern kann. Potenzial wäre durchaus vorhanden.
Fazit
Nathalie Haynes' "Stone Blind - Der Blick der Medusa" über das vermeintliche Monster mit den Schlangenhaaren ist ein unterhaltsamer Roman mit erfrischend neuem Blick auf die zugrundeliegende griechische Sage. Der Roman bleibt etwas hinter seinen Möglichkeiten zurück, ist aber trotzdem lesenswert und lässt auf mehr von der britischen Autorin, Journalistin, Komikerin und Kennerin der griechischen Mythologie hoffen.
Die Fakten
Natalie Haynes
Babette Schröder, Wolfgang Thon (Übersetzung aus dem Englischen)
dtv Verlag
384 Seiten
Erschienen am 16.02.2023
Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen
ISBN: 978-3-423-28317-5
PS: Herzlichen Dank an den dtv Verlag für das Rezensionsexemplar und die Collage Art von Alexandra Stiller.
Hörbuch-Flatrate 45 Tage gratis testen!
"Stone Blind - Der Blick der Medusa" von Natalie Haynes gibt es auch als Hörbuch bei Storytel, gelesen von Laura Maire.
Besorgt euch die Hörbuch-Flatrate mit meinem Link für 45 (statt nur 30) Tage kostenlos* und ihr könnt dieses oder eins der 600'000 anderen Hörbücher für Gross und Klein gratis hören!
Nach Ablauf des Probeabos kostet die Flatrate 14.90 Euro pro Monat, ist aber jederzeit kündbar (auch vor Ablauf des Probeabos).
* Links mit * sind Affiliate-Links / Werbelinks. Wenn du das Buch über diesen Link kaufst, bekomme ich vom jeweiligen Shop eine kleine Provision. Am Buchpreis ändert sich für dich nichts. Du hilfst mir aber so, den Blog ein kleines Bisschen zu refinanzieren. Vielen Dank!
Comments