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Silberregen glitzert nicht

Suchtproblematiken tauchen in Jugendbüchern für Early Teens wohl nicht allzu häufig auf. Christine Werner nähert sich dem Thema Medikamentenabhängigkeit in ihrem Roman "Silberregen glitzert nicht" ganz feinfühlig aus der Perspektive der 12-jährigen Emely.


Silberregen glitzert nicht - Christine Werner (Mixtvision 2023)

Da ich viele Jahre für eine NPO gearbeitet habe, die sich in der Schweiz für eine fortschrittliche Suchtpolitik einsetzt und auch in meinem letzten Job mit dem Programm für "Kinder von suchtkranken Eltern" in Berührung kam, interessiert mich das sensible Thema Sucht in Kinder- und Jugendbüchern. Deshalb war für mich sofort klar, dass ich das neue Jugendbuch von Christine Werner lesen möchte. Ihr erster Jugendroman "Blitzeinschlag im TerriTorium" hat mir auch schon gut gefallen. Und "Silberregen glitzert nicht" konnte mich nun trotz dem schweren Thema, oder vielleicht gerade deshalb, noch mehr begeistern.


Den schönen Schein wahren

Emely ist wie erwähnt 12 Jahre alt, sie hat zwei kleine Geschwister, einen besten Freund Mathis, mit dem sie gerne Skaten geht, und in der Schule scheint sie auch ganz gut zu sein. So weit so gut, würde man meinen. Doch Emely hat ein Geheimnis. Sie schmeisst den Haushalt praktisch alleine und übernimmt auch noch die Betreuung ihrer kleinen Geschwister. Ihr Papa ist nämlich oft beruflich unterwegs und ihre Mama schafft es morgens oft nicht aus dem Bett. Daneben liegt meist eine leere Tablettenverpackung. Um welches Medikament es sich handelt, wissen wir nicht. Aber wir merken schnell, dass es kein gutes Zeichen ist, wenn neben Mamas Bett wieder einmal


Emelys Mutter hat auch gute Phasen, in denen sie den Haushalt macht, gute Laune verbreitet und mit den Kindern schöne Pläne schmiedet. Pläne, die sie dann aber leider doch allzu oft einfach verschläft. Und so bleibt die ganze Arbeit und die Verantwortung für die Geschwister wieder an Emely hängen. Diese stellt ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse Mal für Mal zurück, um gegen aussen den Schein einer "normalen" Familie zu wahren. Eine riesige Last auf so jungen Schultern.


Wenn alles zu viel wird

Nach und nach macht sich die Last auch gegen aussen bemerkbar. Wenn sie es etwa nicht schafft, Bruder und Schwester rechtzeitig im Kindergarten oder in der Kita abzuliefern, wenn sie ihren schmutzigen Pullover aus der Schmutzwäsche fischen muss oder wenn sie fast zu spät ins Schulzimmer stolpert. Und irgendwann, ja irgendwann traut sie sich endlich, sich ihrem besten Freund anzuvertrauen.


Mathis soll es zwar ebenfalls unbedingt für sich behalten. Emely möchte auf keinen Fall, dass andere Kinder oder Erwachsene Bescheid wissen. Aber zumindest kann sie jetzt mit jemandem darüber sprechen. Und Mathis wäre nicht der beste Freund überhaupt, wenn er Emely nicht auf eine professionelle Suchtberatungsstelle hinweisen würde. Und so nimmt das Buch ein hoffnungsvolles Ende, dass jemand Emely aus ihrer Lage hilft, ihr die übermenschliche Last von den Schultern nimmt und dass schliesslich auch ihre Mama die nötige Hilfe erhält, um der Medikamentensucht zu entkommen.


Christine Werner hat das Buch sehr geschickt aufgebaut, indem sie einen langsam an die Problematik heranführt und einem Stück für Stück klar wird, wie es Emely ergeht und wie sie sich in dieser Situation fühlt. Wir spüren ihr Verantwortungsbewusstsein, die Liebe zur Mutter, den absoluten Willen, alles am Laufen zu halten, aber natürlich auch die Traurigkeit über den Zustand der Mutter und den Fakt, dass sie so wenig Unterstützung hat und den immensen Druck, den sie spüren muss, weil sie selbst in die Rolle eines Elternteils für ihre zwei kleinen Geschwister und ihre Mutter schlüpft (Parentifizierung). Und selbstverständlich auch die Enttäuschung darüber, dass sie oft verzichten muss (zum Beispiel auf Ausflüge in den Skatepark, Shopping o.ä.) und der Zweifel daran, ob sie ihrer Mutter überhaupt wichtig ist.


"Warum kriegt sie es nicht hin? Weil ich nicht wichtig bin. Egal." (S. 75)

Der Jugendroman für junge Teenager ab etwa 11 Jahren hat mich sehr, sehr mitgenommen. Was sicher auch daran liegt, dass Christine Werner alles aus der Perspektive von Emely beschreibt. So sind wir ganz nah an ihr und ihrer emotionalen Not dran. Hoffen mit ihr und werden oft wieder enttäuscht. Sehr gut gefällt mir auch, dass die Autorin ihre Kapitel immer mit einer Frage überschrieben hat, die zuerst einmal bildhaft verstanden werden kann, die aber eine ganz greifbare Relevanz für Emely hat und im Verlauf des Kapitels vielleicht nicht immer beantwortet, aber doch thematisiert wird. Ebenfalls ein tolles Stilmittel sind Quizfragen im Stile von "Wer wird Millionär?", die sich Emely ausdenkt, da ihre Mama und sie Quizsendungen lieben. Wie toll wäre es, wenn ihre Mama oder sie einmal eine solche Show gewinnen und dann jubelnd im Silberregen stehen würde? Der Silberregen ihres Lebens ist aber leider alles andere als ein Segen.


"Was ist eine Million wert? A: die Antwort auf die Biologie-Frage B: die Entdeckung von Quizanien C: Mama, die tanzt" (S. 109)

Darüber hinaus ist Emely als cooles Mädchen, das Skateboarden mag, klischeefrei gezeichnet. Ihre Freund*innen haben den Namen nach zu urteilen ganz unterschiedliche kulturelle Hintergründe. Und auch Nebenrollen wie der Fassadenarbeiter sind sympathisch geschrieben.


Fazit

Christine Werner erzählt in "Silberregen glitzert nicht" sehr gefühlvoll von einem Teenager-Mädchen, dessen Mutter tablettensüchtig ist. Als Leser*innen des Jugendbuchs erleben wir mit Emely, was es bedeutet, viel zu früh viel Verantwortung übernehmen zu müssen. Gleichzeitig teilen wir mit ihr die Hoffnung, dass es Menschen gibt, die ihr und ihrer Mutter helfen können. So erzählt der Roman nicht nur vom schweren Thema der Medikamentensucht und ihren Folgen für die Kinder der betroffenen Familien, sondern transportiert auch, dass es sich lohnt, sich jemandem anzuvertrauen und Hilfe zu holen. Niemand muss so etwas alleine durchstehen! Schon gar kein Kind.


Die Fakten

Christine Werner

Mixtvision

208 Seiten

Erschienen am 08.02.2023

Hardcover

ISBN: 978-3-95854-197-9

AB 11 Jahren





PS: Herzlichen Dank an den Verlag Mixtvision für das Rezensionsexemplar.

PPS: In der Schweiz haben gemäss Sucht Schweiz etwa 100'000 Kinder suchtkranke Eltern. Die Stiftung organisiert deshalb zusammen mit Partnerorganisationen jeweils im Frühjahr eine Aktionswoche für Kinder von Eltern mit einer Suchterkrankung. 2023 findet sie vom 13.-19. März statt.



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