Second-Class Citizen - ein Klassiker der Schwarzen feministischen Literatur
Buchi Emechetas zweiter Roman "Second-Class Citizen" liegt endlich auf Deutsch vor. Die Nigerianerin, die bis zu ihrem Tod 2017 in London lebte, erzählt damit fiktionalisiert ihre eigene Lebensgeschichte - ein feministischer, antirassistischer Weckruf, der auch heute noch gehört und gelesen werden sollte!
Auf Englisch erschien "Second Class Citizen" erstmals im Jahr 1974. Dank dem Blumenbar Verlag und Übersetzerin Marion Kraft können wir dieses feministische Werk nun auch auf Deutsch lesen, es lohnt sich!
Adah, Buchi Emechetas Alter Ego, wird in Nigeria im Stamm der Igbo geboren. Die Geschichte setzt ein, als das Mädchen gerade 8 Jahre alt ist und um eine gute Schulbildung kämpft, die in der Regel Jungen vorbehalten ist.
Wann Adah genau geboren wurde, ist unklar...
"... denn sie kam als Mädchen auf die Welt, obwohl alle einen Jungen erwartet und vorhergesagt hatten. Folglich war sie eine grosse Enttäuschung für ihre Eltern, ihre engere Familie und für ihre ganze Sippe..." (S. 9)
Schon mit diesem Einstieg in "Second-Class Citizen" wird klar, dass Adah als Mädchen und Frau ein Mensch zweiter Klasse ist. Doch allen Hindernissen und dem frühen Tod ihrer Eltern zum Trotz, schafft sie es, einen guten Abschluss zu machen und eine Anstellung in der Bibliothek des amerikanischen Konsulats in Lagos zu finden.
Flucht nach vorne
Bald heiratet sie Francis Obi und bekommt mit ihm ein Kind. Ihr gemeinsamer Traum ist es, nach London zu gehen. Das gelingt ihnen auch. Francis darf als Mann (natürlich) vorausgehen, um in London zu studieren. Adah folgt ihm aber, gerade schwanger mit dem zweiten Kind, bald nach.
Doch das Leben in London ist nicht der erhoffte Befreiungsschlag für Adah, bringt ihr nicht die gewünschte Emanzipation. Obwohl sie es ist, die in London - wie früher schon in Nigeria - das Geld heimbringt, ist sie hier der Willkür ihres Mannes komplett unterworfen. Jetzt ist sie in zweifacher Hinsicht eine Bürgerin zweiter Klasse: als Frau und als Schwarze Ausländerin. Und das geben ihr nicht nur Engländer*innen zu spüren, sondern auch andere Nigerianer*innen, die sie nicht in ihre Community aufnehmen, weil sie nach mehr strebt als nach dem vermeintlich vorbestimmten Job als Fabrikarbeiterin und sogar noch eine gleichberechtigte Beziehung leben will!
In Buchi Emechetas "Second-Class Citizen" erleben wir Adahs neuen Alltag in Grossbritannien und ihren täglichen Kampf gegen das System und gegen ihren Mann hautnah mit. Die Autorin schreibt in einfacher Sprache, da sie ihre Bücher direkt auf Englisch und nicht in ihrer Muttersprache verfasste. Sie erzählt zwar in der dritten Person, aber trotzdem aus der Perspektive von Adah. Direkt und schonungslos schildert uns Emecheta autofiktional vom Leben einer Schwarzen Frau (im Verlauf des Romans mit 4 Kindern) im London der 1960er-Jahre. Adah erleidet nicht nur die rassistische Diskriminierung im weiss dominierten England, das bis vor Kurzem noch die Kolonialmacht über Nigeria hatte. Sie kämpft auch mit ihrer Unterdrückung als Frau - sei es was die Bildung, ihren Beruf, ihre weibliche Selbstbestimmung (zum Beispiel über eine Abtreibung, Verhütung oder Sex in der Ehe) oder ihre Rolle als Mutter angeht.
"Allmählich lernte sie, dass sie sich für ihre Hautfarbe schämen musste. Zu Hause wäre ihr das nicht in den Sinn gekommen, selbst nicht mitten unter Weissen." (S. 84)
Es ist äusserst eindrücklich, wie die Protagonistin ihren Traum, Schriftstellerin zu werden und ein selbstbestimmtes Leben mit ihren Kindern zu führen, unbeirrt verfolgt. Neben der rassistischen Diskriminierung, die Adah erleidet, muss an dieser Stelle auch die sexualisierte und häusliche Gewalt erwähnt werden, die ihr angetan wird. Deshalb spreche ich hiermit eine Triggerwarnung aus.
"Meine Söhne werden lernen, ihre Frauen wie Menschen zu behandeln, wie Individuen, nicht wie Ziegen, denen man das Sprechen beigebracht hat. Für meine Töchter, Gott helfe mir, wird niemand einen Blutpreis bezahlen." (S. 143)
Fazit
Buchi Emecheta hat mit "Second-Class Citizen" ein eindrückliches, fiktionalisiertes Zeugnis ihrer eigenen Geschichte geschrieben. Ein Roman an der Schnittstelle von rassistischer und sexistischer Diskriminierung, der mit der starken Person von Adah - dem Alter Ego der Autorin - zu einer feministischen, antirassistischen Kampfansage im besten Sinne wird. Ein äusserst schonungsloses, aber leider auch traurig aktuelles Buch einer Schwarzen Autorin, von der wir hoffentlich noch viel mehr auf Deutsch lesen dürfen!
Die Fakten
Buchi Emecheta
Marion Kraft (Übersetzung aus dem Englischen)
Blumenbar (Aufbau Verlage)
285 Seiten
Erschienen am 14.02.2023
Hardcover
ISBN: 978-3-351-05114-3
PS: Herzlichen Dank an Blumenbar für das digitale Rezensionsexemplar. Die Seitenzahlen beziehen sich auf die E-Book-Variante und stimmen wohl nicht mit der längeren Printversion überein.
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