Radium Girls - Ihr Kampf um Gerechtigkeit
Ein sicherer, gut bezahlter Job in der Uhrenfabrik? Die "Radium Girls" hatten scheinbar Glück. Doch wie Cy. in ihrer Graphic Novel zeigt, trügte der Schein der Leuchtfarbe, die die jungen Frauen auf tausende Ziffernblätter auftrugen.
Die französische Zeichnerin Cy. nimmt uns in "Radium Girls" mit in die Goldenen Zwanzigerjahre in den USA. Leider waren das nicht nur die Jahre, in denen in vielen Ländern das Frauenwahlrecht eingeführt wurde, man in den USA trotz Prohibition rauschende Partys feierte und Charleston tanzte. Im Falle der Radium Girls könnte man die Jahre etwas zynisch auch als "Strahlende Zwanzigerjahre" bezeichnen.
Ein freies, sorgenfreies Leben
Aber fangen wir vorne an: Cy. erzählt in ihrer Graphic Novel die Geschichte junger Frauen, die dank ihrer Anstellung bei der US Radium Corporation (USRC) in New Jersey ein gutes Einkommen erhielten und so - auch unverheiratet - ein gutes, unabhängiges Leben führen konnten. Ihre Aufgabe war es, die Ziffernblätter von täglich 250 Uhren mit Leuchtfarbe zu versehen. Dafür wendeten die Frauen die "Lip-Dip-Paint"-Technik an. Das heisst, sie feuchteten den Pinsel mit den Lippen an, tauchten ihn in die Farbe und bemalten dann die Ziffern.
Das unsichtbare Gift
Was sie lange nicht wussten: Die kostbare Farbe enthielt Radium. Das erst Ende des 19. Jahrhunderts entdeckte radioaktive Element (dazu empfehle ich euch die Graphic Novel über Marie Curie) wurde damals noch als Wundermittel gegen Falten gepriesen, wurde Kosmetika, Kondomen und sogar Lebensmitteln zugesetzt. Durch das Ablecken des Pinsels nahmen die Frauen täglich kleine Mengen des giftigen Stoffes auf. Auch auf ihren Gesichtern, den Zähnen und den Händen lagerte sich das chemische Element ab, so dass sie in der Nacht leuchteten wie die Uhren. Deshalb wurden sie im Umfeld auch gerne die "Ghost Girls" genannt und machten sich schon mal einen Spass daraus, sich mit der Farbe die Fingernägel anzupinseln oder ihrem Partyoutfit einen besonderen, leuchtenden Aha-Effekt zu verleihen.
Doch mit der Zeit wurden die ersten von ihnen krank, verloren ihre Zähne, hatten Schmerzen in den Gelenken, beklagten Schwangerschaftsabbrüche und starben schliesslich an der Strahlenkrankheit. Zuerst wurde der Zusammenhang zwischen den Erkrankungen bzw. Todesfällen und der Leuchtfarbe abgestritten. Die Fabrik setzte sogar verleumderische Gerüchte in Umlauf, wonach z.B. Syphilis die Todesursache gewesen sein soll. Doch die Radium Girls taten sich zusammen, suchten sich einen Anwalt - ein gar nicht so leichtes Unterfangen! - und klagten gegen die USRC.
Cy. verbindet in ihrer Graphic Novel eindrücklich die unbeschwerte Zeit der 1920er-Jahre, die Freundschaft der Arbeiterinnen der Uhrenindustrie und das Gefühl von Freiheit und wirtschaftlicher Unabhängigkeit der jungen Frauen mit der tragischen Geschichte ihrer Ausnutzung durch ihren Arbeitgeber, den dramatischen Folgen der unheilbaren Strahlenkrankheit und der weitgehenden Ohnmacht der Frauen gegenüber einem Justizsystem, das offenbar den Mächtigen (und Männern) in die Hände spielte. So behandelt die Graphic Novel zwar ein ernstes Thema, zeigt aber auch die schönen Seiten des Lebens der jungen Frauen. Das Buch ist von Beginn bis zum Schluss mit Humor - teils auch sarkastischem - durchzogen, so dass es sich trotz der ganzen Tragik gut lesen lässt.
Nur acht Farbtöne
Ich musste das Buch natürlich schon alleine aufgrund der Farbwahl von Cy. haben. Ihre Kunst wird aber umso eindrücklicher, wenn man aus dem aufschlussreichen Interview mit der Autorin im Anhang weiss, dass sie für das ganze Buch nur acht verschiedene Farbstifte genutzt hat, alle aus der Farbpalette aus Violett und Radiumgrün. Unfassbar, wie viele Schattierungen sie damit zaubern konnte!
Die Panels sind immer rechteckig, manchmal freigestellt. Manchmal finden sich sechs oder sieben Panels auf einer Seite, dann folgt wieder ein seitenfüllendes Bild. Auch durch die mal dialoglastigen und dann wieder textlosen Seiten wechselt der Rhythmus häufig und man fliegt förmlich durch die Seiten.
Ein besonderer Clou ist übrigens auch das Cover: Es leuchtet im Dunkeln und das etwa so gespenstisch wie die Ghost Girls im Epilog des Buches, aber zum Glück völlig radiumfrei.
Fazit
Cy. erzählt in der Graphic Novel "Radium Girls - Ihr Kampf um Gerechtigkeit" eindrücklich von einem der ersten grossen Arbeitskämpfe von Frauen. Die französische Zeichnerin gibt in ausdrucksstarken Farbstiftbildern einen Einblick ins Leben der jungen Frauen und ihren Kampf gegen eine scheinbar übermächtige Industrie. Ein empfehlenswertes Buch für Jugendliche ab ca. 14 Jahren, aber durchaus auch für Erwachsene!
Wer sich für die Geschichte der Radium Girls interessiert, kann auch in der Biografie "The Radium Girls: The Dark Story of America's Shining Women"* von Kate Moore weiterlesen, die dieser Graphic Novel zu Grunde liegt. Die wahre Geschichte wurde unter dem Titel "Radium Girls" auch verfilmt.
Die Fakten
Cy. (Text und Illustration)
Christiane Bartelsen (Übersetzung aus dem Französischen)
Carlsen Verlag
136 Seiten
Erschienen am 28.12.2021
Hardcover (mit Leuchtfarbe)
ISBN: 978-3-551-76389-1
Ab 14 Jahren
PS: Herzlichen Dank an den Carlsen Verlag für das Rezensionsexemplar.
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