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Pizza Girl - ein starkes Debüt!

Mit "Pizza Girl" gibt Jean Kyoung Frazier ihr Romandebüt. Ein tiefgründiger und gleichzeitig humorvoller Roman über eine junge Frau, die ungeplant schwanger wird und nicht nur bezüglich ihrer Mutterschaft ziemlich orientierungslos durchs Leben mäandert.


Pizza Girl - Jean Kyoung Frazier (Kampa Verlag 2022)

"Pizza Girl" von Jean Kyoung Frazier hat mich nicht nur aufgrund des Covers (viel besser als das amerikanische Original!*) sofort angesprochen, sondern auch weil es ein Debüt ist, die Autorin mit Jahrgang 1993 noch jung ist und mütterlicherseits koreanische Wurzeln hat. Und nicht zuletzt klang es in der Ankündigung des Kampa Verlags auch inhaltlich sehr vielversprechend!


Orientierungslos und auch noch schwanger

In "Pizza Girl" treffen wir auf Jane. Sie ist die Ich-Erzählerin des Romans und hat wie die Autorin eine Mutter, die aus Korea in die USA einwanderte, und einen amerikanischen Vater und sie lebt in einem Vorort von Los Angeles, Kalifornien. Gewisse autobiografische Bezüge sind also nicht von der Hand zu weisen. Ob es weitere Parallelen gibt, weiss ich leider nicht.


Jane ist gerade 18 Jahre alt, mit der Schule fertig, seit einem Jahr mit Billy zusammen und schwanger. Ihr Freund - der Typ Traumschwiegersohn meets Vorzeigeamerikaner - und ihre Mutter freuen sich wahnsinnig auf das Baby. Es wird ein Junge, davon sind die beiden überzeugt und bereits auf Namenssuche. Und gemäss Jane ganz wichtig für ihre Mutter:


"... ihre Tochter würde unter ihrem Dach wohnen bleiben mit einem amerikanischen Mann und einem echten amerikanischen Baby." (S. 21)

Jane teilt die Euphorie der beiden überhaupt nicht. Die Schwangerschaft und die bevorstehende Mutterschaft lösen in ihr eher Angst und Unsicherheit aus. Eine Verbindung zum Ungeborenen scheint sie nicht zu spüren. Der Rolle der Mutter fühlt sie sich nicht gewachsen. Die Überfürsorglichkeit von Mutter und Freund gehen ihr auf die Nerven. Ohne Plan für ihre Zukunft jobbt sie bei Eddie's und liefert Pizzas aus, fährt mit dem vom Vater geerbten Ford Festiva durch die Gegend und verbringt die Nächte im Schuppen im Garten - Bier trinkend.


Verschiedene Erzählstränge, viele Themen, starke Bilder

Jane nimmt uns mit in ihren Alltag - wo sie ziemlich früh im Buch einen Anruf von Jenny erhält, die für ihren unglücklichen Sohn unbedingt eine Salamipizza mit Gürkchen braucht. Jane macht es möglich, liefert die Pizza aus und hat sofort Gefühle für Jenny, die sie auf 40 bis 45 Jahre schätzt. In der Folge liefert sie immer wieder Pizzas an Jenny und die beiden nähern sich an. Den Lieben daheim erzählt sie nichts davon, führt fast ein Parallelleben. In Rückblenden erfahren wir zudem einiges über Janes und Billys jüngere Vergangenheit und ihr Kennenlernen sowie die Geschichte von Janes Mutter Kayla, eigentlich Choon-Heeh. Der grösste Teil der Rückblenden ist aber Janes Vater gewidmet, der alkoholabhängig war und daran gestorben ist. Schon als Kind musste Jane Verantwortung übernehmen, kehrte sich die Vater-Tochter-Beziehung quasi um.


So spricht Jean Kyoung Frazier in ihrer Erzählung zahlreiche Themen an: Schwangerschaft und Mutterschaft, Erwachsenwerden, Lebensplanung und Ziele, Herkunft, Integration bzw. Diskriminierung, den amerikanischen Traum, intergenerationale Traumata bzw. Vererbung, Waffen, Queerness und mehr. Janes unvermittelte, direkte und humorvolle Art nimmt den Themen ihre Schwere, lässt sie erträglich bleiben. Besonders begeistert haben mich die Bilder, die Jean Kyoung Frazier zeichnet:


"Ich hätte keine gewendeten Spiegeleier nehmen sollen, sie sahen zu weich und flüssig aus, als hätte das Huhn, das sie gelegt hat, kaum Zeit gehabt, um sich von ihnen zu verabschieden." (S. 95)

Oder:

"Ein Vermissen ohne Hochspannung, Blitz und Donner. Eher ein Vermissen wie eine Hand, die in einer leeren Chipstüte nach Krümeln tastete..." (S. 228)

Auch das Motiv des alten klapprigen Ford ist stark: Er ist ein Erbstück vom Vater, also gewissermassen die Verbindung zu ihm über den Tod hinaus. Gleichzeitig ist er die einzige Möglichkeit für Jane, ihrem Alltag und der Familie ab und zu etwas zu entfliehen, mit oder ohne Ziel über die Highways zu brettern - und so auch Teil des amerikanischen Lebensgefühls.


Durch die Ich-Perspektive führt uns die Autorin ganz, ganz nah an Jane heran, die da so verloren, halt- und sinnsuchend durch ihr Leben kurvt und mit den Geistern der Vergangenheit und den hohen Ansprüchen der Gegenwart gleichzeitig kämpft. Auch die anderen Charaktere werden in ihrer Ambivalenz und in ihrem Facettenreichtum gezeigt, sind keine blossen Schablonen. Auch wenn sie jeweils durchaus für bestimmte Typen stehen, Jean Kyoung Frazier bricht immer wieder mit unseren Vorurteilen und lässt hinter die Fassade blicken.


Janes ziemlich wahnhafte Beziehung zu Jenny kulminiert in einem grossen Showdown und am Ende nimmt das Buch nochmals eine Wende. In welche Richtung, verrate ich euch natürlich nicht, aber für mich war es stimmig.


Fazit

Jean Kyoung Frazier begeistert in ihrem Debütroman "Pizza Girl" mit ihrer frischen Sprache, ihren wirklich originellen Bildern, ihrem Humor, ihrem feinen Gespür für innere Kämpfe und zwischenmenschliche Reibungskräfte, ebenso wie mit dem Sinn für ganz grosse und kleine Träume. Ein grosses Lesehighlight 2022 und deshalb eine unbedingte Leseempfehlung!


Die Fakten

Jean Kyoung Frazier

Marion Hertle (Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch)

Kampa Verlag

240 Seiten

Erschienen am 22.02.2022

Hardcover

ISBN: 978-3-311-10039-3



PS: Herzlichen Dank an den Kampa Verlag für das Rezensionsexemplar.


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