Papierklavier - ein illustrierter Tagebuchroman
Skandal um einen nicht verliehenen Preis hin oder her - die Lektüre von Elisabeth Steinkellners "Papierklavier" lohnt sich auf jeden Fall.
Das Jugendbuch "Papierklavier" von Elisabeth Steinkellner, mit Illustrationen von Anna Gusella, kam einige Monate nach Erscheinen so richtig ins Gespräch, als die Deutsche Bischofskonferenz ihm den Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis verweigerte. Die Diskussionen zum Thema könnt ihr unter dem Hashtag #causapapierklavier in den Social Media nachlesen. Was kann denn an einem Buch so schlimm sein, dass die Bischöfe ihm eine Auszeichnung verwehren?
Ehrlich gesagt ist da nicht viel Skandalöses auszumachen: Maias Freund*in Carla ist trans, Maias Mutter hat drei Kinder von drei verschiedenen Vätern, es tauchen Begriffe wie Vulva und Vagina auf und das war's auch schon mehr oder weniger. Das kann euch als Leser*innen dieses Blogs kaum schocken. ;-) Die deutschen Bischöfe offensichtlich schon. Da ist es eine gewisse Genugtuung, dass der nicht verliehene Preis in diesem Fall so einiges an Aufmerksamkeit für das Buch generiert hat. Die Lektüre lohnt sich jedenfalls sehr, ganz unabhängig vom Preisverleihungsdebakel (Näheres könnt ihr bei BR24 nachlesen).
Die Liste an eingeheimsten Preisen und Nominierungen ist im Übrigen auch so sehenswert! Das Buch kam unter "Die besten 7 Bücher" vom Deutschlandfunk, war Monats-LUCHS von ZEIT und Radio Bremen, Jugendbuch vom Monat Dezember 2020, hat den Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis 2021 erhalten (wie auch "Der Katze ist es ganz egal" von Franz Orghandl und "Die kleine Waldfibel" von Linda Wolfsgruber), ist für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2021 nominiert und steht auf der Shortlist "Die schönsten deutschen Bücher 2021" der Stiftung Buchkunst.
Vom Aufwachsen unter widrigen Umständen
Aber kommen wir zu Inhalt und Form von "Papierklavier": Elisabeth Steinkellner erzählt in Tagebuchform aus dem Leben der 16-jährigen Maia. Illustratorin Anna Gusella ergänzt den Text um Maias Zeichnungen. So wird das Buch praktisch zur Graphic Novel.
Die Geschichte beginnt mit dem plötzlichen Tod von Oma Sieglinde. Sie ist nicht Maias richtige Oma, sondern die gut betuchte Nachbarin der Familie. Sie hatte nicht nur immer ein offenes Ohr, sondern auch einen offenen Kühlschrank und ein offenes Portemonnaie. Maia und ihre kleineren Schwestern Ruth (10 Jahre) und Heidi (7 Jahre) leben mit ihrer alleinerziehenden Mutter in beengten und ärmlichen Verhältnissen. Besonders Heidi hing sehr an Oma Sieglinde, da sie bei ihr immer Klavierspielen konnte, wofür sie grosses Talent hat. Maia möchte ihr ermöglichen, weiterhin Klavierunterricht zu nehmen, und übernimmt dafür eine zweite Schicht bei ihrem Nebenjob in einem Saftladen (echt!).
Maia springt beim Erzählen vom einen Thema zum nächsten und gibt uns so einen zwar punktuellen, aber doch vielfältigen und gut nachvollziehbaren Einblick in ihr Leben. Neben dem Erzählstrang über Oma Sieglinde lernen wir auch Maias Freundinnen Alex und Carla kennen. Alex geht mit Maia zur Schule und ist wie sie eine Aussenseiterin, allerdings in einer schlankeren und finanziell bessergestellten Version. Carla ist schon 23 (richtig alt!) und trans. Sie heisst eigentlich Engelbert und hat einen Penis.
"Ich bin ja nicht einmal der und einmal die, sondern immer ich. (...) Aber für die Leute ist es halt einfacher, wenn sie dich in eine Kategorie stecken können."
Steinkellner spricht auf wenigen Seiten ganz viele Themen an: Transgender, Armut, Sexualität und Freundschaft, Selbstwertgefühl, die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper, Schönheitsideale und Schönheitswahn, Diversität, Gewalt an Transmenschen und Frauen, Aufklärung, gendergerechte Sprache, Glück und einige mehr. Die österreichische Autorin verbindet ernste und traurige Themen mit einer ganz lockeren und witzigen Erzählweise. Die Illustrationen von Anna Gusella verbinden und bereichern die Textelemente perfekt. Sie nutzt dafür nur Schwarz und ein helles Blaugrau. Der Strich ist mal dick, mal dünn, mal ruhig und detailliert, mal ganz wild und abstrakt.
Die Stimme der Erzählerin klingt weitgehend authentisch nach einem 16-jährigen Mädchen. Social Media und Smartphones sind ganz natürlich Teil ihrer Kommunikation. An einigen Stellen ist Maia aber etwas sehr altklug, wenn sie sich zum Beispiel - berechtigterweise - über Social Media als "Selbstdarstellungsplattformen" auslässt. Trotzdem bleibt sie immer sympathisch und bietet sehr viel Identifikationspotenzial. Denn sie hat nicht nur mit ihren Lebensumständen zu kämpfen, sondern auch mit ihrer Figur und mit ihrem Platz in der Gesellschaft.
"Jede*r ist anders als die anderen und trotzdem passen wir ALLE irgendwo dazu, und am Ende gehören wir doch alle irgendwie zusammen, weil wir so unterschiedlich ja gar nicht sind."
Fazit
Elisabeth Steinkellner und Anna Gusella geben mit "Papierklavier" einen berührenden Einblick ins Aufwachsen einer jungen Frau und bringen wie nebenbei ganz viel Diversität ins Spiel: Familienform, soziale Situation, Gender und Aussehen sind nur einige der angesprochenen Vielfaltsdimensionen. Ich-Erzählerin Maia kommt uns durch die Tagebuchform ganz nah und schafft es, zu sich zu stehen und für sich einzustehen. Auch wenn bei ihr nicht alles nach Plan läuft, versteht sie es, das Glück zu erkennen und zu geniessen. Ein berührendes, Mut machendes, in seiner vielfältigen und kreativen Umsetzung eindeutig preiswürdiges Jugendbuch!
Die Fakten
Elisabeth Steinkellner (Text)
Anna Gusella (Illustration)
Beltz & Gelberg
140 Seiten
Erschienen am 19.08.2020
Hardcover
ISBN: 978-3-407-75579-7
Ab 15 Jahren
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