Kochen im falschen Jahrhundert
Ein Abend mit Gästen. Was kann da schon schiefgehen? In Teresa Präauers Roman "Kochen im falschen Jahrhundert" so einiges. Ob die österreichische Autorin das richtige Rezept gefunden hat, um den diesjährigen Deutschen Buchpreis zu gewinnen? Lest selbst!
Ich bin dieses Jahr Buchpreisbloggerin und darf den Deutschen Buchpreis begleiten. Mehr dazu erfahrt ihr auf Instagram und im Podcast von Mädels, die lesen. Ausserdem habe ich auf Instagram ein Interview mit Bookstagram-Kollege und Buchhändler Florian Valerius aka @literarischernerd gemacht, der dieses Jahr Teil der Jury des Deutschen Buchpreises ist.
Mein Patenbuch von der 20 Titel starken Longlist ist "Kochen im falschen Jahrhundert" von Teresa Präauer aus dem unabhängigen Wallstein Verlag. Ich freue mich, euch den Roman hier vorstellen zu können.
Ein Abend mit Gästen in Variationen
Teresa Präauer wirft uns mitten hinein in einen Abend mit Gästen. Noch sind diese nicht aufgetaucht. Wir warten mit der namenlosen Gastgeberin und ihrem ebenso namenlosen Partner, dass ein Schweizer und ein Paar, das vor Kurzem Eltern geworden ist, eintreffen.
Die Gastgeberin ist bereit, die Cracker stehen auf dem Tisch, die Playlist mit Jazzmusik läuft. Der Schweizer kommt entgegen seinem Ruf 15 Minuten zu spät. Als Gastgeschenk bringen alle eine Flasche Wein mit. Ziemlich einfallslos.
Doch vielleicht ist es ja gar nicht so, und das befreundete Paar kommt zu spät? Die Wartenden trinken zwischenzeitlich Crémant und der Schweizer lässt sich über die Studierenden aus, über Schweizer Tageszeitungen und überhaupt:
"Es gibt keine Utopien mehr, rief der Schweizer etwas zu laut und zu verzweifelt und schnappte sich den letzten Cracker aus der ersten Schüssel." (S. 17)
Oder trägt sich die Sache nochmals ganz anders zu und alle kommen zu spät? Und das Gastgeberpaar betrinkt sich schon mal ordentlich, bevor die Gäste auch nur eingetroffen sind? Könnte ja ganz lustig werden. Oder vielleicht eskaliert es auch dezent und es tauchen nicht nur ungebetene Gäste aus Übersee, sondern sogar die Polizei auf?
"Wieso sagten die Menschen in letzter Zeit so oft kein Problem? Wo es doch statt keinem eher viele Probleme gab. Es war schwierig mit den Wörtern in diesen Tagen. Aber das war es ja immer schon gewesen, nicht wahr?" (S. 133)
Mit den unterschiedlichen Variationen des Abends verschieben sich auch immer leicht die Rollen der Anwesenden, was getrunken und worüber gesprochen wird, ob Lilien in der Ecke oder Wiesenblumen auf dem Tisch stehen - und natürlich die gesamte Gruppendynamik. Tut der Gastgeberin in der ersten Szene der Fleck auf dem neuen dänischen Esstisch noch weh, nimmt sie ihn in der zweiten gelassen hin. Immerhin stammt er von einem ebenso dänischen Geschirrtuch. Backt sie den Boden der Quiche Lorraine in der einen Szene gewissenhaft blind, schmeisst sie in der nächsten alles gleichzeitig in den Ofen. Schmeckt genauso gut! Hauptsache, die Deko stimmt.
Teresa Präauer schildert die Szenen voller Humor, nimmt die Vierzigjährigen der gehobenen Mittelschicht, stets bemüht um Distinktionsgewinn, auf die Schippe und lässt eine diebische Freude an der Manipulation ihrer absichtlich schablonenartigen Figuren durchscheinen. Das macht Spass und gleichzeitig sieht man sich immer wieder herausgefordert, sich selbst zu diesen Zeitgenoss*innen und ihren Themen zu positionieren. Fühlt sich an der einen Stelle ertappt und distanziert sich an der anderen von den aufgeblasenen, weil doch recht oberflächlichen, Mitgliedern der urbanen, gebildeten Mittelschicht - oder als Schweizerin wahlweise von der Funktionskleidung. ;-) Geschickt bindet sie auch die Rolle sozialer Medien ein. Hier ein Bohème-Filter, dort eine gesponserte Flasche Wein, da ein Tag und schwupp, schon sitzt Joe aus Amerika mit am Tisch:
"Es kam ihr so vor, als hätte der Amerikaner sie wirklich gesehen, als hätte er in ihr Artischockenherz geblickt, als hätte er all die Zweifel, die sie hegte, und die Ansprüche, die sie an sich und die anderen stellte, darin ablesen können." (S. 149)
Ebenfalls gut gefallen haben mir im Grundsatz die Zwischenstücke dieses Kammerspiels, in denen die Gastgeberin auf die Entwicklung der Ess- und Tischkultur blickt. Wie sich Funktion und Ansehen einer Schürze über die Generationen verändern - gar nicht zu reden vom Lilienporzellan! Oder wie wir ins "Gastgeben" hineinwachsen, uns mehr und mehr fürs Essen, Weine, das Kochen und das ganze Drumherum interessieren, immer höhere Ansprüche an uns selbst und womöglich auch die Gäste stellen. Allerdings kriegt der Text trotz seiner relativen Kürze dadurch und durch die verschiedenen Variationen eine gewisse Länge.
Weiter auf die Shortlist?
Ich habe "Kochen im falschen Jahrhundert" sehr gerne gelesen, habe mich amüsiert, die zahlreichen Referenzen auf gesellschaftliche Diskussionen, Moden und Verwerfungen aus diesem und anderen Jahrhunderten genossen, bin den typisierten Figuren gerne gefolgt, mochte die Sprache und liess mich von Teresa Präauer auch gerne aufs Glatteis der sozialen Distinktion führen. Für die Shortlist, fürchte ich, mangelt es dem Roman etwas an thematischer Wucht. Gönnen würde ich es Teresa Präauer aber allemal!
Übrigens: Teresa Präauer ist mit ihrem neuen Roman auch für den Bayerischen Buchpreis und den Österreichischen Buchpreis nominiert. Schaut mal vorbei, es hat weitere Bekannte auf der Liste! Und wer nun mehr von Teresa Präauer lesen möchte, findet hier alle bei Wallstein erschienenen Bücher von ihr.
Fazit
Die österreichische Autorin Teresa Präauer präsentiert uns in "Kochen im falschen Jahrhundert" einen Abend mit Freund*innen in mehreren herrlich zeitgeistigen Variationen voller Komplikationen: von schmerzenden Brustwarzen der Neo-Mutter, über olfaktorisch unzumutbare Lilien, bis hin zu explodierendem Crémant, ungebetenen Gästen und aus dem Ruder laufenden Gefühlen. Diese Fusion aus literarischem Kammerspiel und Milieustudie hat mich wunderbar unterhalten! Ich bin also in jedem Fall sehr gespannt, ob wir den Roman auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis wiedersehen!
Die Fakten
Teresa Präauer
Wallstein Verlag
198 Seiten
Erschienen am 22.02.2023
Hardcover
ISBN: 978-3-8353-5429-6
PS: Herzlichen Dank an den Wallstein Verlag für das digitale Rezensionsexemplar. Die Printversion ist selbst gekauft. Man könnte sagen: Ich hab den Braten gerochen. Entschuldigt den schlechten Kalauer, Teresa Präauer macht das definitiv besser!
PPS: Herzlichen Dank an den Deutschen Buchpreis, dass ich dieses Jahr zu den Buchpreisblogger*innen gehören darf.
Diese Romane hätte ich auch noch auf der Longlist gesehen
22 Bahnen - Caroline Wahl (Dumont 2023)
Seemann vom Siebener - Arno Frank (Tropen 2023)
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