Kein Bett in der Nacht - ein Bilderbuch über Obdachlosigkeit
Weihnachten ist auch die Zeit, in der wir uns auf die Menschen besinnen, denen es nicht so gut geht wie uns. Mit ihrem Bilderbuch "Kein Bett in der Nacht" nähern sich Maria Inês Almeida, José Almeida de Oliveira und Cátia Vidinhas dem Thema Obdachlosigkeit feinfühlig an.
Armut und wie in diesem Fall Obdachlosigkeit sind in Kinder- und Bilderbüchern noch eher selten ein Thema. Am Ende des Beitrags habe ich ein paar Kinderbücher erwähnt, die das Thema zumindest anschneiden. Die portugiesische Journalistin und Kinderbuchautorin Maria Inês Almeida stellt das Thema ganz ins Zentrum des Buches. Inspiriert wurde sie zu "Kein Bett in der Nacht" von ihrem Sohn José Almeida de Oliveira. Konsequenterweise erzählt sie die Geschichte auch aus der Perspektive eines kleinen Jungen.
Kein Dach über dem Kopf
Beim Anblick von Obdachlosen denkt der Junge, es müsse schön sein, so ohne Dach über dem Kopf unter freiem Himmel schlafen und die Sterne bewundern zu können. Doch ein paar Jahre später erklären ihm seine Eltern, dass diese Menschen, nicht freiwillig auf der Strasse leben, sondern dass sie kein Zuhause haben und deshalb auf einer Parkbank, unter einer Brücke oder sonst einem Unterschlupf schlafen müssen.
"Sie haben kein Haus, das sie vor Regen, Hitze oder Wind schützt. Sie haben kein Bett, auf dem sie sich nach einem langen Tag ausstrecken können. Sie haben niemanden, der sie in den Arm nimmt oder ihnen hilft."
Tief beeindruckt von der Situation und der Traurigkeit der Obdachlosen beschliesst der Junge, ihnen zu helfen. Er sammelt Kleiderspenden und Lebensmittel und vor allem sucht er das Gespräch mit den Obdachlosen. So wird ihm klar, dass Obdachlose Menschen sind wie du und ich - sie waren vorher vielleicht Buchhalterin, Krankenpfleger oder Professorin, hatten eine Familie und eine Wohnung.
Das einfühlsame Bilderbuch endet mit dem Weihnachtswunsch des Jungen,
"... dass dieses Buch immer mehr an Aktualität verlieren möge, da es dann immer weniger Menschen gäbe, die auf der Strasse leben müssen."
Das Haus als Leitmotiv
Cátia Vidinhas hat "Kein Bett in der Nacht" wunderschön illustriert. Es dominieren Blau-, Grau- und Brauntöne, gelegentlich versetzt mit einem roten oder gelben Farbtupfer. Das Thema der Obdachlosigkeit bzw. des Obdachs zieht sich leitmotivisch mit einem Haus durch, das bereits im Vorsatz auftaucht und wir fast auf jeder Doppelseite wieder entdecken können. Mal in Form einer Kartonbehausung, mal als Sternbild, mal als Haus anstelle des Herzens und mal als Miniaturhaus, das Freundschaft und Geborgenheit vermittelt.
Kindgerecht, aber nicht ganz rund
Insgesamt profitiert "Kein Bett in der Nacht" vor allem von der Perspektive des erzählenden Jungen, die immer offen, interessiert, wohlwollend und hilfsbereit ist. Für die Zielgruppe von Kindern ab 4 Jahren nicht ganz passend finde ich allerdings manche Textstellen. Zum Beispiel, wenn die Mutter von Idealen spricht, die die Wirklichkeit nicht überleben. Ich würde die Altersempfehlung deshalb mindestens bei 5 oder 6 Jahren ansetzen. Wenn ein konkreter Anlass besteht, kann das Bilderbuch aber natürlich auch schon früher genutzt werden, um das Thema aufzugreifen. Ich würde dann beim Vorlesen einfach einiges weglassen oder vereinfachen.
Keine Antwort liefert das Buch auf die logische Anschlussfrage der Kinder, weshalb wir denn nicht einfach allen Obdachlosen ein Dach über dem Kopf zur Verfügung stellen. Gerade in einem reichen Land wie der Schweiz sollte das doch möglich sein. Hier tut sich natürlich die ganze Komplexität der Problematik auf, die auch für uns Erwachsene schwer fassbar ist. Trotzdem ist das Buch ein toller Gesprächsanlass, nicht nur rund um Weihnachten. Und vielleicht lädt es ja dazu ein, der einen oder anderen Frage gemeinsam auf den Grund zu gehen!
Schliesslich sei eine kleine Anmerkung zum Titel erlaubt: Im Original heisst das Bilderbuch "Sem Abrigo", portugiesisch für "ohne Obdach". Gerade im Zusammenhang mit dem starken Motiv des Hauses, das sich illustratorisch durchzieht, finde ich die deutsche Variante "Kein Bett in der Nacht" weniger geglückt.
Fazit
"Kein Bett in der Nacht" von Maria Inês Almeida, José Almeida de Oliveira und Cátia Vidinhas bietet einen kindgerechten, ersten Zugang zum Thema Obdachlosigkeit. Verpackt in die Geschichte eines Jungen, der sich den Obdachlosen annimmt, erklärt das Bilderbuch den Kindern empathisch, was Obdachlosigkeit ist und was sie für die Betroffenen bedeutet. Und gleichzeitig wird deutlich, dass für obdachlose Menschen dasselbe wichtig ist, wie für (fast) alle mit Dach über dem Kopf: Freundschaft und ein Gefühl der Zugehörigkeit. Ein berührender Buchtipp mit Bezug zu Weihnachten, aber von ganzjähriger Bedeutsamkeit.
Die Fakten
Maria Inês Almeida, José Almeida de Oliveira (Text)
Cátia Vidinhas (Illustration)
Sarah Pasquai (Übersetzung aus dem Portugiesischen)
Knesebeck Verlag
32 Seiten
Erschienen am 23.06.2021
Hardcover
ISBN: 978-3-95728-487-7
Ab 5 Jahren
PS: Herzlichen Dank an den Knesebeck Verlag für das Rezensionsexemplar.
Mehr Kinderbücher über Armut und Obdachlosigkeit bei mint & malve
Weihnachten mit Bernadette - Bernadette (NordSüd 2021)
Familie Flickenteppich 4. Wir freuen uns auf Weihnachten - Stefanie Taschinski, Anne-Kathrin Behl (Oetinger 2021)
Der kleine Trommler - Bernadette (NordSüd 2018)
Der Weihnachtsbaum - Delia Huddy, Emily Sutton (Aladin 2015)
Das schwarze Schaf - Italo Calvino, Lena Schall (Mixtvision 2017)
* Links mit * sind Affiliate-Links / Werbelinks. Wenn du das Buch über diesen Link kaufst, bekomme ich vom jeweiligen Shop eine kleine Provision. Am Buchpreis ändert sich für dich nichts. Du hilfst mir aber so, den Blog ein kleines Bisschen zu refinanzieren. Vielen Dank!
Comments