Going Zero
Habt ihr Lust auf eine richtig spannende Lektüre, die im Spannungsfeld von Geheimdiensten und Social Media spielt? Dann kann ich euch den Roman "Going Zero" von Anthony McCarten empfehlen.
Cy Baxter, Unternehmer und Milliardär aus Chicago, hat grosse Pläne: Mit seinem Projekt FUSION will er in Kooperation mit der US-Regierung und deren Sicherheitskräfte (CIA, NSA und FBI), seinem eigenen Sozialen Netzwerk WorldShare und den besten Spezialist*innen wie Hacker*innen für die totale Überwachung in den USA sorgen.
"Das, was die Leute an Cy so mögen, das, weswegen sie ihn so sympathisch finden, über seine Intelligenz hinaus und trotz seines Reichtums, ist die Art, wie er allem Anschein nach tatsächlich das Beste aus dem machen will, was er ist und was er besitzt, wie er wirklich etwas Gutes tun will für die Welt, wo er doch ebenso gut surfen gehen könnte. Oder mit einer Rakete ins Weltall fliegen." / S. 15
Jetzt steht der Beta-Test von FUSION an. Dafür wurden zehn möglichst unterschiedliche Personen aus den ganzen USA ausgesucht, die sich 30 Tage vor dem System verstecken sollen. Wer es schafft, bekommt 3 Millionen Dollar. Schafft es niemand, ist FUSION ein grosser Deal mit der US-Regierung sicher.
Eine der sogenannten "Zeros" ist Kaitlyn Day, eine unscheinbare, eigenwillige, aber durchaus intelligente Bibliothekarin aus Boston. Weshalb sie bei dem Test mitmacht, erfahren wir natürlich erst nach und nach. Und da gibt es so einige Überraschungen! Mit ihr und den neun anderen Zeros rasen wir durch die ganze USA und sogar bis nach Kanada. Als Leser*in fiebert man natürlich mit, ich persönlich immer auf der Seite der Zeros. Nicht nur, weil Cy nicht so sympathisch ist, wie es obiges Zitat weismachen soll. Sondern auch, weil überhaupt nicht klar ist, dass die ganze Sache zu mehr Sicherheit führt. Viel wahrscheinlicher ist doch, dass die totale Information schlicht die Auslöschung jeglicher Privatsphäre bedeutet.
Viele der Teilnehmer*innen werden relativ schnell gefasst. Meist verrät sie ein benutztes Handy, ihr Gangbild oder irgendeine Kleinigkeit, die von den Algorithmen als "auffällig" aus der Flut an Daten von Überwachungskameras, Kreditkartensystemen, Kommunikationsnetzwerken, Drohnen etc. herausgefiltert wird.
Der in Neuseeland geborene und in London lebende Drehbuchautor und Schriftsteller Anthony McCarten hat seinen Roman mit Thrillercharakter spannend aufgebaut. Einerseits schon nur durch den Countdown der 30 Tage und der immer weniger werdenden Zeros, die noch im Spiel sind. Andererseits durch die häufigen Perspektivwechsel. Er erzählt zwar immer in der dritten Person, aber wir sind insbesondere sehr nah an Cy Baxter und seiner Geschäftspartnerin und Ehefrau Erika Coogan sowie an den Zeros - allen voran Kaitlyn - dran. So erleben wir den Betatest von beiden Seiten, kriegen die ganzen Emotionen hautnah mit und denken gleichzeitig ständig darüber nach, was von einem solchen Projekt zu halten ist, wem zu trauen ist, wer Böses im Schilde führt und welche unerwarteten Verbindungen da vielleicht noch auftauchen könnten.
"Ein Leben wird bloßgelegt, fast wie bei einem chirurgischen Eingriff am offenen Herzen, überlegt er, das Brustbein durchgesägt, die Rippen nach außen geklappt, roh und offen liegt das Leben zutage, und dann wird Inventur gemacht, analysiert, traktiert." / S. 81
Das Ende mag dem einen oder der anderen etwas too much sein. Anthony McCarten schöpft da auf jeden Fall aus dem Vollen und lässt definitiv keine*n Leser*in kalt. Der Roman ist zeitlich nicht fix verortet. Er könnte genau jetzt spielen oder in einer nahen Zukunft. Betrachten wir die Entwicklungen rund um AI der letzten Monate, wurde er vielleicht sogar schon rechts von der Realität überholt. So erschreckend die ganzen Überwachungs- und Analysemethoden im Buch sind, so realistisch erscheinen sie mir auch.
Fazit
Anthony McCarten liefert mit "Going Zero" einen spannenden und auch emotional mitreissenden Roman im Dunstkreis von Geheimdiensten, sozialen Netzwerken und Künstlicher Intelligenz. Über den Betatest des FUSION-Projekts geraten private und staatliche Kräfte, wertvolle Güter wie Sicherheit und Privatsphäre, Vertrauen und Kontrolle, technischer Fortschritt und digitale Zurückgezogenheit in Widerstreit. Ob die Bibliothekarin oder das System am Ende die Nase vorne hat, müsst ihr selber herausfinden!
Die Fakten
Anthony McCarten
Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié (Übersetzung aus dem Englischen)
Diogenes Verlag
464 Seiten
Erschienen am 26.04.2023
Hardcover, Leinenbindung
ISBN: 978-3-257-07192-4
PS: Herzlichen Dank an den Diogenes Verlag für das digitale Rezensionsexemplar. Die Seitenangaben beziehen sich auf das E-Book und können von der Printversion abweichen.
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