Frau auf blossen Füssen
(Werbung) Scholastique Mukasonga zeigt uns mit "Frau auf blossen Füssen" das Leben einer Tutsi-Familie in Südruanda. Eine Hommage an ihre Mutter und ein Anschreiben gegen das Vergessen des Genozids.
Literatur, Filme und Berichte aus Ruanda interessieren mich schon immer. Wahrscheinlich, weil der Genozid an den Tutsi 1994 neben dem Krieg am Balkan eins der ersten politischen Ereignissen war, die ich als Kind bewusst mitbekommen habe. Später kam dann hinzu, dass mein Mann kurz vor dem Völkermord für ein Jahr in Ruanda gelebt hat. Und so ist das Interesse geblieben.
Scholastique Mukasonga hat den Genozid als einzige ihrer Familie überlegt und erzählt in ihrem autobiografischen Buch "Frau auf blossen Füssen" vom Leben ihrer Familie im Süden Ruandas. Für ihre Mutter Stefania, ihren Mann, die sechs Kinder und auch alle benachbarten Tutsi-Familien war das ein Leben Exil und das im eigenen Land! Sie stammten eigentlich aus dem hügeligen, begrünten Norden. Waren aber von den Hutu in den 1960ern in den heissen, flachen und unwirtlichen Süden vertrieben. Und hier lebten sie in ständiger Angst vor Überfällen, Plünderungen, Vergewaltigungen und Morden durch die Hutu.
Ein Leben im Exil
Wir erfahren ganz zu Beginn, dass Mutter Stefania leider nicht überlebte und dass ihre Töchter nicht die Gelegenheit hatten, sie nach ihrem Tod sofort mit einem Tuch zu bedecken. Darum hatte sie ihre Mutter immer und immer wieder gebeten und so lebten die Mädchen in dauernder Angst vor dem Tod - leider zu recht.
"Ihre armseligen Überreste haben sich in der Pestilenz des riesigen Massengrabs im Völkermord aufgelöst..." "... und auf den Seiten meines Buchs weben meine Sätze, wieder und wieder, das Leichentuch für deinen verlorenen Körper." (S. 9)
Nach diesem sehr harten Einstieg berichtet Scholastique Mukasonga in thematisch unterschiedlichen Episoden von ihrer Mutter Stefania, wie sie versuchte, ihre Familie zu beschützen, ihre traditionelle Kultur zu bewahren, den Kindern eine Zukunft zu bieten. Da geht es um vordergründig Banales wie den Aufbau des Hauses, die Hirseernte, das Brot oder die Heilkräuter, die Stefania verwendete. Doch mit diesen Themen transportiert die Autorin ganz viel rund um die Rolle der Frau in der ruandischen Gesellschaft sowie das Leben in ständiger Angst, fern der eigenen Heimat. Wir erfahren, wie sich die Tutsi zwischen Tradition und Fortschritt, zwischen Heidentum und Christentum, zwischen den eigenen Sitten und Werten und derer der Kolonialherren (zuerst der Deutschen und zur Zeit der Handlung der Belgier) bewegten.
Mukasonga flicht dabei immer wieder Begriffe in Kinyarwanda, ihrer Muttersprache, ein. Die Sprache ist einfach, hat in der Übersetzung von Gudrun und Otto Honke aus dem Französischen einen schönen Rhythmus. Der Bericht der ruandischen Schriftstellerin ist relativ handlungsarm und wenn, handelt es sich eher um anekdotische Schilderungen. Sie beschreibt viele Traditionen, Bräuche, Lebensweisen und die Verrichtungen des täglichen Lebens wie die Bestellung des Gartens und der Äcker. Es wird deutlich, welch zentrale Rolle die ruandischen Frauen - auf jeden Fall Stefania - spielten, um das Überleben ihrer Familien zu sichern (bzw. es zumindest zu versuchen). Insgesamt erfährt man einiges, wie sich die Familie der Autorin entwickelte, wie die älteren Kinder aufs Gymnasium konnten oder wie eins der Geschwister heiratete (bzw. verheiratet wurde) und auszog.
Trotz der an und für sich spannenden und sehr wichtigen Thematik und der relativen Kürze des Buches, fand ich einige Stellen etwas langfädig. Sie haben wohl vor allem in der Erinnerung der Autorin ihre Bedeutung und sicherlich ihre Berechtigung. Zudem fehlte mir etwas die grosse Zeitspanne zwischen den ausführlich thematisierten 60er-Jahren (und vielleicht auch 70er/80er-Jahren, es wird nicht explizit gemacht) und dem Genozid ab April 1994. So ist die Einordnung für Leser*innen mit wenig Vorwissen recht schwierig.
Fazit
Scholastique Mukasonga gibt mit "Frau auf blossen Füssen" einen interessanten Einblick in das Leben der Tutsi im Süden Ruandas. Für alle, die sich für wahre Geschichten von #ownvoices-Autor*innen interessieren, eine Lektüre wert. Diese ist trotz der Härte der Umstände auch von Humor und vor allem von Liebe und Wertschätzung zu einer starken Mutter geprägt.
Die Fakten
Scholastique Mukasonga
Gudrun und Otto Honke (Übersetzung aus dem Französischen)
Peter Hammer Verlag
160 Seiten
Erschienen am 07.03.2022
Hardcover
ISBN: 978-3-7795-0678-2
PS: Herzlichen Dank an den Peter Hammer Verlag für das Rezensionsexemplar.
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