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Brüste - Eine Anthologie

Brüste, oft objektifiziert und sexualisiert. In "Brüste - Eine Anthologie" von Linus Giese und Miku Sophie Kühmel nehmen sich zwölf Autor*innen diesem Körperteil aus ihrer ganz individuellen Perspektive an. Das bringt zum Lachen, zum Nachdenken und führt zu so manchem Aha-Moment!


Brüste. Eine Anthologie - Linus Giese, Miku Sophie Kühmel (Hrsg.) (Tropen Verlag 2024)

Mit dem Stichwort "Brüste" verbinden wohl viele erst einmal ein sekundäres Geschlechtsmerkmal von Frauen. Gleich darauf dürfte die stillende Mutter folgen. Beide Assoziationen sind natürlich nicht falsch - wenn auch oft patriarchal geprägt und teils problembehaftet. "Brüste - Eine Anthologie", herausgegeben von Linus Giese und Miku Sophie Kühmel, macht aber schnell klar, dass das Thema viel breiter, die Perspektiven vielfältiger und der Bezug zu Brüsten sehr individuell ist.


Mit Linus Giese schreibt beispielsweise ein trans Mann sehr berührend darüber, was Brüste für ihn bedeuteten und wie sein Weg zum Leben ohne Brüste aussah. Daniela Dröscher (Autorin von "Lügen über meine Mutter"*) nimmt uns mit ihren Fragmenten mit zu Brüsten in unterschiedlichen Zusammenhängen und Epochen. Bettina Wilpert thematisiert den mindblowing Fakt, dass auch Männer stillen können (zugegeben nur ein kleiner Prozentsatz) und geht auf problematische Instatrends ein, die insbesondere Mütter unter Druck setzen. Nils Pickert (er kann auch Kinderbücher) stürzt sich ganz tief in die Schnittstelle von Patriarchat und Sexismus und demaskiert so den male gaze auf Brüste.


"Noch ist ein Busen eine Ware. Eine Ware, mit der mann [sic!] sich Geschlecht belegen lässt, sein sexuelles Interesse projiziert und sich Rettung erhofft." / S. 77f

Angela Lehner, Autorin von "Vater unser"*, berichtet herrlich humorvoll und gnadenlos direkt von ihrer Brustverkleinerung als junge Frau und der Problematik erschwerter Darmentleerung nach einer Operation in einem Hitzesommer. Die nicht-binäre Konzeptkünstler*in Sarah Berger thematisiert den schizophrenen Umgang von Social Media (insbesondere in den USA) mit als weiblich gelesenen Körpern:


"Meine Unfreiheit dient dem vermeintlichen Schutz meines heiligen Körpers vor sexueller Ausbeutung. Als Schutz vor Sexualisierung meines zwangsvergeschlechtlichten und dadurch schon längst durchsexualisierten heiligen Körpers. Als Schutz vor Verunreinigung und Beschämung meines längst ausgebeuteten Körpers. Denn schämen sollen sich immer nur die, die angeschaut werden, niemals die, die sie anschauen. Wer wird hier geschützt? Mein Körper oder der vergeschlechtlichende, objektifizierende und sexualisierende Blick auf ihn?" / S. 81

Weitere Texte thematisieren etwa die Mastektomie infolge einer Krebserkrankung (aus Sicht einer non-binary Person) oder künstliche Brüste als Teil der Travestiekunst. Auch diese Essays fand ich äusserst lesenswert, weil sie mir Einblicke in Welten, Situationen und Gefühle brachten, die ich nicht aus eigener Erfahrung oder aus meinem Umfeld kenne.


Wenn ich an der Vielfalt der Autor*innen und Thematiken etwas auszusetzen hätte, dann wäre es einzig, dass keine Frau vertreten ist, die sich eine grössere Brust wünscht und sich - gerne auch kritisch - mit diesem Wunsch auseinandersetzt. Aber ich kann auch verstehen, wenn die Herausgeber*innen mit ihrer Auswahl nicht noch ins Horn von "die Grösse der Brüste definiert den Grad an Weiblichkeit" blasen wollten. Insofern erfolgt hier ein erfrischend anderer, vielfältiger Blick auf Brüste, der auf mich eine befreiende Wirkung hatte.


Fazit

Ich kann nur allen die Lektüre von "Brüste - Eine Anthologie" von Linus Giese und Miku Sophie Kühmel empfehlen. Die vielperspektivische Auseinandersetzung mit einem derart an Bedeutung überladenen Körperteil liefert einerseits viel Anregung zur Selbstreflexion und andererseits Ansätze zur Demystifizierung oder Destigmatisierung - je nachdem, von welcher Seite man sich der Thematik nähert.



Die Fakten

Linus Giese und Miku Sophie Kühmel (Hrsg.)

Daniela Dröscher, Antje Rávik Strubel, Bettina Wilpert, Nils Pickert, Sarah Berger, Dr. Michaela Dudley, Biba Oskar Nass, Angela Lehner, Kirsten Achtelik, Audrey Naline (Texte)

Tropen Verlag (Klett-Cotta)

176 Seiten

Erschienen am 17.05.2024

Hardcover

ISBN: 978-3-608-50249-7



PS: Herzlichen Dank an den Tropen Verlag für das digitale Rezensionsexemplar. Die Seitenzahlen können von der Printversion abweichen.


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