Zwischen Frausein und Muttersein
Drei Frauen, ihr Frausein und ihre Mutterschaft stehen im Zentrum von Laura Vogts zweitem Roman "Was uns betrifft". Eine vielschichtige Suche nach der eigenen Rolle.
"Am Tag, als ein Ei auf Kommando des luteinisierenden Hormons ihren rechten Eierstock verliess und sich mit einem Spermium vereinte, sass Rahel in der zweitvordersten Reihe an einer Lesung." (S. 9)
Rahel ist 27 Jahre alt und ungewollt schwanger. Der Vater des Kindes hat sich aus dem Staub gemacht. Sie sieht ihren Beruf als Jazz-Sängerin und die Mutterrolle als unvereinbar und setzt ganz auf Letzteres. Der Zufall will es, dass sie den Schriftsteller Boris kennenlernt und ziemlich überstürzt zu ihm aufs Land, in ein grosses Haus in der Ostschweiz, zieht. Rahel stürzt sich voll in ihre Mutterrolle und verbannt die Musik aus ihrem Leben.
Schwieriges Zurechtfinden im Muttersein
Boris nimmt Rahels Sohn Rico wie sein eigenes Kind an. Später bekommen sie noch das gemeinsame Kind Leni. Die Geburt ist ungleich schwerer als die von Rico und Rahel fühlt sich nach der Geburt leer, kann schlecht eine Beziehung zu ihrer Tochter aufbauen, das Stillen ist ein Kampf. Die emotionalen Defizite - vielleicht ist es auch eine postpartale Depression - überkompensiert sie mit übertriebenem Perfektionismus im Haushalt. Boris weist sie ab, obwohl er objektiv gesehen ein toller umsorgender Vater und verständnisvoller Partner ist. In Rahel steigt aber immer wieder die Befürchtung auf, Boris könnte - wie einst ihr eigener Vater und Ricos leiblicher Vater - plötzlich aus ihrem Leben verschwinden.
Gleichzeitig wird klar, dass sie ihr Leben als Sängerin vermisst. Die beiden unterschiedlichen Welten aber auch nicht zusammenbringt. Sie hat Mühe, gleichzeitig Frau und Mutter und sich selbst zu sein, sich neu zu positionieren, ihr Selbst wiederzufinden.
"... vor mir der halbierte Körper, in jeder Hälfte stecken noten, die nicht klingen. Da liege ich nun, verstreut in meinen Kindern." (S. 103)
Stark sein bis zum Verleugnen?
In dieser Phase kommt nun Rahels jüngere Schwester Fenna zu Besuch. Auch sie schwanger, allerdings gewollt. Abstruserweise ist diese Schwangerschaft eine Retourkutsche dafür, dass ihr Freund Luc sie einmal im Wald vergewaltigt hat. Fenna ist eine starke, selbstbestimmte Frau, sieht sich als Feministin. Um dieses Bild von sich aufrechtzuerhalten, rechtfertigt sie die Vergewaltigung, macht ein Machtspiel daraus, in dem sie durchs Schwangerwerden wieder die Oberhand gewinnt. Die Wertung des Ganzen ist uns Leser*innen überlassen. Fennas Auftauchen und ihr Austausch mit Rahel bringen Fragen rund um das Frauenbild und die Rolle der Macht in Beziehungen aufs Tapet.
Eine oft abwesende Mutter
Die dritte Frau im Bunde ist Verena, die Mutter von Rahel und Fenna. Auch sie trifft später im Haus auf dem Land ein. Rahel, Fenna und Verena konfrontieren sich gegenseitig mit ihren Rollen als Mütter, Töchter, Frauen. Verena hat ihre Mädchen alleine aufgezogen, hat viel gearbeitet und war so für Rahel oft fast genauso wenig greifbar wie ihr abwesender Vater. Zumindest erscheint die Beziehung recht unterkühlt. Verena ging später eine Beziehung mit einer Frau ein. So bringt auch dieser Erzählstrang nochmals viele spannende Fragen ein über Familien- und Rollenmodelle sowie über Beziehungen.
Laura Vogt erzählt den Grossteil des Romans mit einer Erzählstimme von aussen, aber jeweils in wechselnden Perspektiven durch die Augen der drei Frauen Rahel, Fenna und Verena. Nur einzelne Tagebuchpassagen bieten eine Innensicht von Rahel. So entsteht ein vielstimmiges, vielschichtiges Bild von den drei Frauen, die wiederum ganz unterschiedliche und sich im Laufe der Zeit ändernde Bilder von sich selbst, von den anderen, vom Frausein und vom Muttersein haben.
Fazit
"Was uns betrifft" von Laura Vogt ist ein tiefgründiger, psychologischer Roman über das Frausein, mit und ohne Kind, über das Muttersein, mit und ohne Partner*in, mit und ohne berufliche Pflichten oder Erfüllung. Indem die Autorin dieses Spannungsfeld vielstimmig aufzeigt, regt sie sehr zum Nachdenken an über frühere und aktuelle Rollenbilder, feministische Bestrebungen und das Zurechtfinden in sozialen Gefügen. Besonders jungen Müttern kann ich die Lektüre sehr empfehlen, sie hallt lange nach.
Die Fakten
Laura Vogt
Zytglogge Verlag
210 Seiten
Erschienen am 28.02.2020
Hardcover
ISBN: 978-3-7296-5043-5
PS: Herzlichen Dank für das Rezensionsexemplar an den Zytglogge Verlag.
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