Graphic Novels – eine unterschätzte Kunstform
Lest ihr schon Graphic Novels? Für mich ist das Genre ziemliches Neuland. Aus meinem Regal zählen dazu wohl nur die beiden Unerschrocken-Bände von Pénélope Bagieu. Deshalb habe ich mir Hilfe in Form von Trude, Literaturwissenschaftlerin und Betreiberin von Literaturpower, geholt. Sie erklärt euch, was es mit dem Trend aus Frankreich und den USA auf sich hat.
Mama, warum liest du denn Comics?
Erwachsene gehen ins Museum, sie bewundern dort Bilder und wenn sie auch noch schlau darüber reden können, gelten sie als kulturbeflissen. Gerne wäre auch ich Kunstkennerin, aber mir fehlt dafür das Auge, welches einzigartige Details erkennen und Stile unterscheiden kann. Trotzdem mag ich Bilder, bin ein sehr visueller Typ und mochte schon als Kind Comics und Bilderbücher besonders gerne. Umso überraschender, dass ich erst sehr viel später, mit über 30 das Genre Graphic Novel so richtig für mich entdecke. Warum es lohnt, diesem unterschätzten Medium eine Chance zu geben, verrate ich in diesem Artikel.
Es hat lange gedauert, bis sich der Begriff "Graphic Novel" auch im deutschsprachigen Raum etablieren konnte. Heute ist er zwar fast allen ein Begriff, trotzdem greifen hierzulande längst nicht so viele Leserinnen und Leser nach den bildgewaltigen Geschichten wie z.B. in Frankreich oder in den USA. In Frankreich hat das Comic und auch die komplexere Kunstform der Graphic Novel eine lange Tradition und ihren festen Stellenwert in der Kultur.
Die Wirkung von Graphic Novels
Graphic Novels verbinden verschiedene Kunstformen, sind dadurch außergewöhnlich vielseitig und haben eine besonders inspirierende Wirkung auf uns. Die Kombination aus Bild und Text gibt unserem Gehirn eine andere Stimulation, als es ein Fließtext vermag. Stimmungen, Gefühle und Wahrnehmung werden dabei anders kanalisiert. Das geschieht natürlich sehr individuell. Während nicht jeder Bestseller-Roman jeder Leserin gefällt, wird es auch Graphic Novels geben, die mir mehr und andere, die mir weniger gefallen.
Zu den Klassikern des Genres zählen zweifellos "Maus" von Art Spiegelmann und "Persepolis" von Marjane Satrapi. Beide gesellschaftskritischen Werke sind preisgekrönt und verhalfen der Graphic Novel nachhaltig zu wohlverdientem Ruhm. Inzwischen werden selbst literarische Klassiker wie Goethes "Faust" und "Der Mann ohne Eigenschaften" von Musil als Graphic Novel aufgelegt. Daneben gibt es heute eine Vielzahl an eindrucksvollen und qualitativ hochwertigen Werken, die sehr moderne und bedeutsame Themen behandeln.
Aktuelle Graphic Novels
"Out of the woods" von Brent Williams trägt den Untertitel "A Journey Through Depression and Anxiety". Illustriert von Korkut Öztekin.
Statt viele Worte zu dieser einfühlsamen und so wichtigen Graphic Novel zu verlieren, möchte ich auf den wundervollen Buchtrailer aufmerksam machen, der kürzlich erschien: Buchtrailer zu “Out of the woods” auf Youtube. Eine deutsche Übersetzung der Graphic Novel erscheint demnächst.
Dass auch Sachthemen als Graphic Novel umgesetzt werden können, beweist in herausragender Weise die schwedische Politikwissenschaftlerin Liv Strömquist. Sie ist nicht nur eine begnadete Comicautorin, sondern darüber hinaus auch eine engagierte Feministin, die es vermag, den unverständlichen Irrsinn unserer Gesellschaft in Wort und Bild zu fassen und damit für uns überhaupt erst greifbar zu machen.
Besonders ans Herz legen möchte ich euch ihre Werke "Der Ursprung der Welt", eine Tiefenauseinandersetzung mit dem weiblichen Geschlechtsorgan, und "Der Ursprung der Liebe", ein Blick auf historische und gesellschaftliche Phänomene romantischer Liebe. Strömquist räumt in ihren Büchern auf mit konservativen Verhaltens- und Denkmustern.
"Das ist informativ, häufig tragisch, aber zutiefst erfrischend und wegweisend."
Ich hoffe, ich konnte dir, liebe Leserin oder dir, lieber Leser, ein paar Anregungen geben, was demnächst unter den Weihnachtsbaum darf. Graphic Novels werden unser Lesen revolutionieren, davon bin ich überzeugt. Warum sie bislang hierzulande unterschätzt wurden, darüber kann ich nur spekulieren, aber dass sie unsere Kultur in Zukunft bereichern und aufpolieren, darauf freue ich mich schon jetzt.
In diesem Sinne viel Spaß beim Stöbern und Entdecken!
Trude
Trude Schneider ist freiberufliche Literaturwissenschaftlerin und betreibt seit 2018 Literaturpower: die erste deutschsprachige Plattform für bibliotherapeutische Inhalte.
Auf Literaturpower findest du das Buch passend zu deinem Lebensgefühl. Trude ist außerdem auf Instagram, Facebook, Twitter und Pinterest unterwegs. Auf Steady könnt ihr jetzt sogar Literaturpower-Mitglied werden!
Herzlichen Dank für diesen Einblick, Trude! Ich bin jedenfalls schon ganz neugierig und habe mir von einem Freund gleich mal einen Stapel Graphic Novels vorbeibringen lassen.
Unerschrocken 1 und 2 von Pénélope Bagieu
Da ich eingangs Pénélope Bagieu erwähnt habe, möchte ich (Eliane) es nicht versäumen, euch die beiden Unerschrocken-Bände zu empfehlen. Die Illustratorin und Cartoonistin ist in Frankreich ein richtiger Star. Bekannt wurde sie mit ihrem Blog "Ma vie est tout à fait fascinante". Schaut auch mal in ihrem Instagram- oder Twitter-Account vorbei!
Der Reprodukt Verlag hat 2017 mit "Unerschrocken 1" und 2018 mit "Unerschrocken 2" ihre je 15 Porträts aussergewöhnlicher Frauen herausgegeben. Von Sängerin Betty Davis, über Astronautin Mae Jemison, bis zu Mumin-Erfinderin Tove Jansson ist eine breite Palette bewundernswerter Frauen dabei und sowohl die Comics als auch die seitenfüllenden Abschlussbilder jedes Kapitels sind brillant.
Ich werde sie hier auf dem Blog bald einmal ausführlich besprechen und sogar ein Exemplar verlosen. Wenn ihr nichts verpassen wollt, abonniert gerne meinen kostenlosen Newsletter.
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