Gemeinsam fürs Klima
Ist Klimaschutz für eine Familie überhaupt alltagstauglich? Petra Pinzler und Günther Wessel haben mit ihrer Familie den Versuch gewagt, ein Jahr lang CO2-neutral zu leben. Ihre Erfahrungen haben sie in "Vier fürs Klima" festgehalten. Ein lesens- und nachahmenswerter Bericht!
Petra und Günther mit ihren Kindern Jakob (16) und Franziska (13) leben im Südwesten Berlins in einem Einfamilienhaus, haben ein Auto, nutzen es aber nicht allzu oft. Sie haben keine aussergewöhnlichen Hobbys, essen nicht sehr viel Fleisch, der Sohn ist sogar Vegetarier. Alles in allem also eine ganz normale vierköpfige Familie. Ihr ökologischer Fussabdruck? 42 Tonnen CO2 pro Jahr. Das macht 10.5 Tonnen CO2 pro Person und Jahr. Damit liegen sie etwas unter dem deutschen Durchschnitt von 11 Tonnen (Schweizer durchschnitt: 13.5 Tonnen). Klimafreundlich wären 2.2 Tonnen pro Jahr, ein CO2-neutrales Leben also eine echte Herausforderung - wie wohl für die meisten von uns. Denn wusstet ihr, dass allein die staatlichen Leistungen und Infrastrukturen wie Schulen, Spitäler, Strassen, Kehrichtverbrennung etc. für über eine Tonne pro Person verantwortlich sind (in der Schweiz: 1.28 Tonnen)? Was können denn da einzelne Menschen noch ausrichten?
Fragen über Fragen
Auch die Autoren von "Vier fürs Klima" stellen schnell fest, dass die Sache mit dem Klimaschutz gar nicht so einfach ist. Da stellen sich ganz viele Fragen, die nicht leicht zu beantworten sind: Sind Äpfel aus der Region immer besser als Äpfel aus Übersee? Darf man argentinischen Rotwein trinken? Was ist wichtiger, bio oder regional? Sind Papiertüten wirklich besser als Plastiksäckchen? Wohin dürfen wir überhaupt noch in den Urlaub fahren?
Die Familie nimmt uns bei der Beantwortung dieser und weiterer Fragen mit durch ihr Jahr. Jeden Monat wird offen, humorvoll, unkompliziert und undogmatisch ein grösseres Thema behandelt. So geht es im Februar um "Äpfel, rülpsende Kühe und Vegetarier". Im März steht die Garten- und Urlaubsplanung an. Im Juni beschäftigen "Wasser, Wein und die Moral beim Einkaufen". Im August knöpfen sie sich den Kleiderschrank vor (jetzt wird's ernst!). Im September geht es um Hobbys, Arbeit und Bücher und im November um die Energiefresser Licht und Heizung. Im Dezember sprechen sie schliesslich auch noch die Weihnachtsgeschenke an, ein heikles Thema.
Unerwartete CO2-Schleudern
Ein paar erstaunliche Erkenntnisse aus dem Buch, die zumindest mich ziemlich aufgerüttelt haben:
Eine Google-Suche verbraucht 2 g CO2.
Ein E-Book-Reader lohnt sich CO2-technisch schon ab 8 gelesenen Büchern. Wenn gedruckte Bücher, dann nur solche aus FSC-Papier. Das habe ich in meinem letzten Artikel "Der Natur auf der Spur" für den WWF Schweiz thematisiert. Noch besser sind solche auf recyceltem Umweltpapier wie beim Blauen Engel.
Einheimische Äpfel sind besser als Importäpfel, solange sie nicht über 6 Monate gelagert wurden. Dann gewinnen die Äpfel aus Übersee. Also von Mai bis Juli besser auf Beeren umsteigen, wenn es keine frischen Äpfel mehr gibt (Tipps rund um die Ernährung und die Küche geben auch Loumalou, Miss Broccoli und auf Französisch Lumai Blog).
Geflügel und Schwein verursachen bei biologischer Aufzucht ca. 3 kg CO2 pro Kilogramm Fleisch. Beim Rind sind es mindestens 11 kg CO2. Mehr über "Fleisch oder Fleisch?" erfahrt ihr bei Stadt Land Gnuss.
Mit biologischer Landwirtschaft könnten wir 15 bis 20 Prozent CO2 einsparen. Aber: Wir bräuchten 60 Prozent mehr landwirtschaftliche Nutzfläche, die es nicht gibt.
Allein bei der Produktion einer Batterie für einen Tesla entstehen 15 Tonnen CO2. Damit könnte man 70'000 Kilometer Auto fahren (mit einem VW Caddy). Wenn Elektroauto, muss also wenigstens der Strom zum Aufladen CO2-neutral sein.
Eine Papiertüte lässt sich besser recyceln, verursacht in der Herstellung aber doppelt so viel CO2 als eine Plastiktüte. Auch Baumwolltragtaschen sind nicht besser.
Ein Liter Hahnenwasser produziert 0.14 g CO2, eine Literflasche Mineralwasser 201 g, 1435-mal so viel!
Eine heisse Dusche verursacht pro Minute 1 kg CO2.
Ein Damen-Longshirt ist in der Produktion für 6 kg CO2 verantwortlich, durch waschen, trocknen und bügeln kommen nochmal 3 kg dazu.
"Vier fürs Klima" ist sehr humorvoll geschrieben, liest sich leicht und man hat das Gefühl, mit der Familie Pinzler-Wessel mitzuleben. So hat dieser Erfahrungsbericht das Potenzial, stärker zum Nachdenken und Handeln anzuregen als es hundert ermahnende (wenn auch durchaus sehr berechtigte) Aufrufe von Klimaforscherinnen, Umweltaktivisten oder Politikerinnen könnten. Weshalb? Weil es nicht den Abwehrreflex auslöst, zu sagen "Was kann ich als Einzelner schon ausrichten?" oder "Mein Nachbar ist ja auch nicht besser als ich, der fährt auch einen SUV oder fliegt auf die Malediven." Die sympathische Familie zeigt, dass es eben doch jede und jeder Einzelne was tun kann, ja tun muss und dass das durchaus nicht immer mit totalem Verzicht verbunden ist.
Und vielleicht streicht ihr ja jetzt auch die Flugreise für den Sommerurlaub und geniesst die Attraktionen in der Schweiz, Deutschland oder Österreich! Bei Kleinstadt erscheint gerade eine vierteilige Serie über Familienferien in der Schweiz. Der erste Teil: Tessin statt Teneriffa. Und Mama rocks hat sich gefragt: "Fliegen wir unsere Umwelt kaputt?"
Ich habe mir jedenfalls so einiges vorgenommen: Weiterhin wenig bis gar nicht fliegen. Abklären, ob ein Wechsel der Heizung Sinn macht und ob neue Fenster nötig wären. Noch weniger über Versandhäuser bestellen. Beim Essen noch stärker auf Regionalität und Saisonalität achten und den Fleischkonsum drosseln. Beim Einkaufen auf unnötige Verpackungen verzichten. Das Auto so bald wie möglich wieder loswerden und wieder ein Generalabonnement anschaffen (so wie Genève et moi, auf Französisch). Und ein kürzerer Arbeitsweg würde auch nicht schaden, obwohl ich den ganz umweltbewusst und auch gerne, da nervenschonend und gemütlich, mit Fahrrad und Zug zurücklege. Schliesslich will ich dank Petra Pinzler jetzt auch "What we think about - when we try not to think about global warming" von Per Esen Stoknes lesen - am besten als E-Book.
Wem die jeweiligen Kapitel im Buch noch nicht ausreichen, der findet im Anhang zu jedem Kapitel umfassende Hinweise auf weiterführende Informationen.
Fazit
"Vier fürs Klima" von Petra Pinzler und Günther Wessel ist kein Ratgeber mit Checklisten für ein CO2-neutrales Leben. Es ist ein Bericht, wie ein klimafreundlicheres Leben im Alltag einer Familie möglich ist, ohne den totalen Verzicht zu leben. So regt das Buch ganz automatisch und ohne erhobenen Zeigefinger dazu an, seine eigenen Entscheidungen, seine Lebensweise zu überdenken und in einigen Punkten zu verbessern. Und es motiviert dazu, sich noch mehr mit den Themen Nachhaltigkeit, Klima- und Umweltschutz auseinanderzusetzen.
Übrigens: "Vier fürs Klima" folgt den sehr strengen Kriterien des "Blauen Engels" für Druckerzeugnisse. Die Autoren meinen es also wirklich ernst mit dem Klimaschutz.
Die Fakten zum Buch
Vier fürs Klima
Petra Pinzler & Günther Wessel
Droemer
304 Seiten
Erschienen am 01.03.2018
ISBN: 978-3-426-27732-4
Leseprobe und mehr bei Droemer Knaur.
Herzlichen Dank an Droemer Knaur für das Rezensionsexemplar.
Klimaschutz einfach gemacht!
Ich habe euch ein paar Links zusammengetragen, damit ihr euch selbst ins Thema vertiefen und Schritt für Schritt klimafreundlicher leben könnt:
Pinterest-Board "Nachhaltigkeit, Klima- und Umweltschutz": Hier findet ihr zahlreiche Tipps und Tricks für ein nachhaltiges Leben, egal ob Ernährung, Wohnen, Einkaufen, Wasserverbrauch, DIYs für Waschmittel, Kosmetik und Upcycling-Ideen, hier werdet ihr fündig.
Spannendes Interview des Beobachters mit Umweltökonom Philippe Thalmann für alle, die sich fragen, was sie als einzelne oder einzelner überhaupt ausrichten können.
WWF-Kampagne: Schütze die Welt, in die unsere Kinder geboren werden!
Dieser Blogbeitrag entstand in Kooperation mit WWF Schweiz. Er ist mein Beitrag zur Kampagne #forgenerationstocome. Alle Beiträge von Schweizer Familienbloggern und weitere Informationen, was ihr fürs Klima tun könnt, findet ihr auf der Kampagnen-Website.