Drei ist einer zuviel
Was für ein Debüt von Mareike Fallwickl! Ihr Roman "Dunkelgrün fast schwarz" trifft uns als Leser mit genauso unberechenbarer Wucht wie die Protagonisten Moritz, Raffael und Johanna.
Mareike Fallwickl ist freie Lektorin und Texterin aus Österreich, deren Leben "von vorn bis hinten und von oben bis unten aus Buchstaben" besteht, wie sie selber sagt. Jetzt bloggt sie nicht mehr nur über Bücher (Bücherwurmloch) oder redigiert diese (Mareike Fallwickl | Konzeption, Text, Redaktion), sondern legt mit "Dunkelgrün fast schwarz" in der Frankfurter Verlagsanstalt ihren ersten eigenen Roman vor.
Gefangen im Beziehungsdreieck
Über die Handlung möchte ich nicht zu viel verraten. Nur so viel: Moritz zieht in den 80er-Jahren mit seiner Mutter Marie und der kleinen Schwester Sophia ins kleine Dorf Dürrnberg in den Hügeln nahe der österreichischen Kleinstadt Hallein. Vater Alexander studiert noch Medizin in Wien, bevor er auch zur Familie stösst. Schon bald trifft Moritz auf den gleichaltrigen Raffael. Vom ersten Tag an sind sie beste Freunde und bleiben es ihre gesamte Schulzeit. Ihre Beziehung ist über weite Strecken sehr einseitig: Raffael ist der Anführer, selbstbewusst, egoistisch, fordert sein ganzes Umfeld und auch Moritz immer wieder heraus, provoziert und geniesst seine Macht. Moritz spielt den stillen, schüchternen, hilfsbereiten Part, sucht Halt, ordnet sich unter, lässt sich mitreissen, schaut zu Raffael auf, obwohl er sich auch immer wieder schlecht behandelt fühlt von ihm.
Als die beiden Teenager sind, wird aus dem unzertrennlichen Duo ein Trio: Johanna lebt seit dem tödlichen Unfall ihrer Eltern bei ihrer Tante und besucht fortan mit den beiden Jungs das Gymnasium. Sie nehmen sie in ihre Mitte auf und damit kippt das fragile Gleichgewicht der Freundschaft. Wie ein Pendel schwingt Johanna zwischen den beiden ungleichen Polen Raffael und Moritz hin und her. Mit dem Ende des Gymnasiums und einem tragischen Schicksalsschlag trennen sich die Wege der drei (glaubt zumindest Moritz - der Leser weiss es bald besser). Erst 2017 treffen sie wieder aufeinander - mit voller Wucht!
Von Freundschaften, Beziehungen, Kindern, der Jugend in allen Schattierungen
"Das Grün ist dunkler geworden, viel dunkler, tief und massiv, fast schwarz. Es füllt den Raum, bis an die Decke strahlt es. Einst war Raffael knospengrün, raupengrün, wie Zuckererbsen in ihrer frisch geöffneten Schote, an manchen Tagen limonenhell." (S. 39)
Bald erfahren wir, was es mit dem Titel des Buches auf sich hat: Moritz ist Synästhetiker, er sieht Farben und vieles riecht und schmeckt für Moritz auch speziell. Mit Farbe drückt er sich bis zum erwähnten Schicksalsschlag auch aus, er zeichnet und malt leidenschaftlich, in seiner Jugend oft Johanna. Das Malen ist seine Sprache, die er mit Worten oft nicht findet. Mit der Verknüpfung verschiedener Sinne, der erweiterten Wahrnehmung von Moritz vermittelt uns Mareike Fallwickl Gefühle ganz neu, sehr intensiv, unmittelbar, "sinnvoll".
Das Buch ist unheimlich dicht geschrieben, jede Seite wartet mit Sätzen auf, in die man sich am liebsten reinlegen würde. Aus jedem Kapitel springen uns zehn geniale Ideen entgegen. Immer wieder übermannen uns ihre Sprachbilder. Es scheint, als hätte Mareike Fallwickl all ihre Lebens- und Leseerfahrung (sie liest locker 100 Bücher pro Jahr) in ihr Gehirn gepackt, im Herz einmal durchgesiebt, frisch eingefärbt und mit ihren Händen in neue Sätze gegossen. Auch wenn die Themen nicht neu sind, hat man nie das Gefühl, schon mal etwas Ähnliches gelesen zu haben. Im Gegenteil.
Ich habe mich in so vielem wiedergefunden: Die Kindheit und Jugend auf dem Land, das Aufwachsen in den 90er-Jahren und das Abschliessen der Matura kurz nach der Jahrtausendwende. Das Gefühl der Jugend, dass einem alle Möglichkeiten offen stehen. Das Gefühl in der Schwangerschaft, das Gefühl, plötzlich für ein Kind verantwortlich zu sein und es vor Bedrohungen aller Art beschützen zu wollen. Auch Johannas Leben als Bloggerin kann ich im Ansatz nachfühlen - zum Glück abgesehen von ihrem unsteten Leben, ihrer tiefen Verzweiflung und der doch etwas sehr speziellen Ausrichtung ihres Blogs.
Die Autorin hat das Buch spannend aufgebaut: Wir wechseln immer wieder die Perspektive zwischen Moritz, Marie und Johanna. Während die Passagen von Moritz und Johanna in der dritten Person geschrieben sind, erzählt Marie in der Ich-Form. Alle drei Perspektiven sind überzeugend. Wir fühlen, fiebern, leiden und hoffen mit den Figuren, dass es uns so richtig mitnimmt - im positiven Sinne. Zudem fliegen wir zwischen den verschiedenen Zeitfenstern in den 80er-Jahren, um die Jahrtausendwende und in der Gegenwart (2017) hin und her und wissen so immer etwas mehr als die Protagonisten und trotzdem nur so viel, dass wir immer noch mehr erfahren möchten.
Fazit
Mit ihrem literarischen Debüt "Dunkelgrün fast schwarz" dringt Mareike Fallwickl tief ein in die Gefühlswelt ganz unterschiedlicher Protagonisten: der kleine, einsame Junge, die tieftraurige, von Sehnsucht getriebene Jugendliche und junge Frau, die sich sorgende Mutter, Ehefrau, Freundin und Grossmutter. Sie alle reiben sich auf ihrer Suche nach Zugehörigkeit, nach Liebe und Freundschaft an dominanten, teils manipulativen Freunden, Liebhabern und oft abwesenden Ehemännern und Vätern. Mit ihrer unglaublich dichten, direkten, einmal weichen, einmal harten Sprache, zieht sie uns hinein in das verworrene, oszillierende Netz der Beziehungen und lässt uns nicht mehr raus. Ein Buch, das nachwirkt. Unbedingte Leseempfehlung!
Herzlichen Dank an die Frankfurter Verlagsanstalt für das Rezensionsexemplar.
Die Fakten
Dunkelgrün fast schwarz
Mareike Fallwickl
Frankfurter Verlagsanstalt
480 Seiten
Erschienen am 05.03.2018
ISBN: 978-3-627-00248-0