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Ein Roadtrip voller Begegnungen

Wolfgang Herrndorfs "Tschick" hat mich begeistert. Der unvollendete Roman "Bilder deiner grossen Liebe" rund um Isa Schmidt konnte mich nicht so fesseln, aber das hat wohl gute Gründe.

Cover Wolfgang Herrndorf, Bilder deiner grossen Liebe, Rowohlt Verlag, 2014

Wer "Tschick" (zur Rezension) kennt, erinnert sich bestimmt noch an Isa, die Ausreisserin, die sich auf der Mülldeponie herumtrieb und dann eine Weile mit Tschick und Maik unterwegs war. "Bilder deiner grossen Liebe" erzählt von ihrer Flucht aus einer Anstalt und der Reise zu Fuss durch Deutschland.

Auf dieser Reise begegnet sie nicht nur Maik und Tschick, die allerdings nur ganz kurz auftauchen, sondern vielen weiteren Menschen, genauer: Männern und Jungen. Darunter sind ein Schiffer, ein Fernfahrer, ein taubstummer Junge und ein Schriftsteller. Isa war offenbar aufgrund irgendeiner psychischen Erkrankung in der Anstalt und ist sich selbst nicht sicher, ob sie nun irr ist oder nicht. Ziemlich verrückt ist sie auf jeden Fall und so sind es auch ihre Gespräche mit den Menschen, denen sie auf ihrem Streifzug durch Felder, Wälder, über Berge, durch die Stadt, zu Wasser und über Land begegnet. So spricht sie wie selbstverständlich mit dem taubstummen Jungen, scheint sich so gar nichts aus der sexuellen Belästigung des Fernfahrers zu machen und tischt ihren Zuhörern selbst ziemlich abstruse und wirre Geschichten auf.

In "Bilder deiner grossen Liebe" taucht ab und zu auf, was ich an "Tschick" so mochte: Herrndorfs Sprachwitz, das Tempo, die irrwitzigsten Wendungen, die direkten, schroffen und witzigen Dialoge und gleichzeitig poetische Bilder, ohne in Kitsch abzudriften. Aber der Roman hat mich auch oft verwirrt: Wir begegnen vielen losen Enden, Gedanken und Handlungen, die nicht weiter erklärt werden, befinden uns nicht in einer erkennbaren Chronologie, sondern irren mit Isa durch Zeit und Raum, begegnen Widersprüchen (lebt ihr Vater noch oder nicht?), die nicht aufgelöst werden. Nun kann das natürlich gewollt sein von Herrndorf und würde auch Isas Geisteszustand nicht schlecht entsprechen. Mir hat diese Verwirrung das Eintauchen in den Roman jedenfalls erschwert und ich habe sie dem Umstand zugeschrieben, dass es sich eben um einen unvollendeten Roman handelt, der erst nach Herrndorfs Tod veröffentlicht wurde.

Der Anhang der Herausgeber Marcus Gärtner und Kathrin Passig "Zur Entstehung dieses Buches" bringt viel Klärung und macht deutlich, dass meine Verwirrung zumindest nicht unbegründet ist. Vielleicht waren Teile davon von Herrndorf so gewollt, aber er hat zwischendurch selber daran gezweifelt, dass der Roman je fertig würde. Und als klar war, dass er ihn selbst nicht mehr würde vollenden können, wurden verschiedene Varianten diskutiert und wieder verworfen - unter anderem die eines Koautors. Schliesslich einigten sich die Herausgeber und Herrndorf, eine Woche vor dessen viel zu frühen Tod, in welcher Form der Roman - mit den zahlreichen Lücken, Varianten von Szenen, Anmerkungen etc. - doch noch erscheinen sollte. Im Nachhinein würde ich allen Leserinnen und Lesern empfehlen, den Anhang zuerst zu lesen. Er erklärt so viel und lässt einen wohl mit noch mehr Verständnis in die verrückte Welt von Isa eintauchen.

Fazit

Wolfgang Herrndorfs "Bilder deiner grossen Liebe" kommt nicht an "Tschick" heran, das muss es als unvollendeter Roman aber auch nicht. Aus jeder Szene, jeder Begegnung, ganz vielen Dialogen und Gedanken spürt man Herrndorfs Fähigkeit, grosse Literatur zu schaffen. Auch wenn der rote Faden oft abhanden kommt, bieten die einzelnen Fragmente höchsten Lesegenuss! Für Herrndorf-Fans ein Muss, für mich Anreiz, mir weitere seiner Bücher vorzunehmen.

Habt ihr schon etwas von Herrndorf gelesen? Was würdet ihr weiterempfehlen? Ich freue mich über eure Kommentare ganz am Ende der Seite.

Die Fakten

Bilder deiner grossen Liebe

Wolfgang Herrndorf

Rowohlt Verlag

144 Seiten

Erschienen am 26.09.2014

ISBN: 978-3-87134-791-7

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