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  • Aus der Zeit gefallen

    In "Hagard", dem dritten Roman von Lukas Bärfuss, erleben wir mit, wie Philip, ein Liegenschaftshändler Ende vierzig, zum Jäger wird und sich dabei völlig verliert. Ein spannender Roman und gleichzeitig eine Kritik an unserer technikabhängigen Gesellschaft. Die Geschichte von Philip wird erzählt von einem unbekannten Erzähler, der versucht, sich selbst zu erklären, was denn eigentlich geschehen ist: "Ich weiss alles, und begreife nichts.", sagt er eingangs und das bleibt auch so. Wer der Erzähler ist, wie er zu den Informationen kam oder wie er zu Philip steht, erfahren wir nicht. Häufig reflektiert vom Erzähler erleben wir die Ereignisse nochmals mit. Alles beginnt damit, dass Philips Blick nach einem normalen Arbeitstag im März wie durch Zufall an einem Paar pflaumenblauen Ballerinas hängen bleibt. Philip verfolgt die grazile Gestalt der Besitzerin, deren Gesicht er nie sieht, mit den Augen und beginnt ihr zu folgen. Über den Platz, an den Bahnhof, in den Zug und hinaus bis in einen Vorort Zürichs. Er wird zum Stalker, ignoriert alles, was ihn sonst in geordneten Bahnen gehalten hätte: den Verlust des Portemonnaies und eines Schuhs, den dahinschwindenden Akku seines Handys, die Fahrscheinkontrolle im Zug und die Tatsache, dass er eigentlich seinen Sohn von der Tagesmutter abholen müsste. Immer wieder weist uns der Erzähler auf die Gelegenheiten hin, die Philip hätte, um die Verfolgungsjagd abzubrechen. Und genau das zieht uns in den Bann: Wir wollen wissen, ob Philip plötzlich eine davon ergreift oder ob er sich weiter hinein begibt in diese Spirale, in die ihn der Zufall zu treiben scheint. Und bei jeder weiteren Entscheidung für die Verfolgung oder wie es der Erzähler darstellt, die Nicht-Entscheidung zum Abbruch, fragen wir uns: wieso? Wieso hat Philip scheinbar seinen Willen verloren? Wieso fällt er derart aus der Zeit, ja aus der Zivilisation und überlässt sich völlig dem Trieb? Auch dem Erzähler bleiben die Gründe verborgen: "Und je gründlicher ich die Einzelheiten kläre, umso schemenhafter wird die Welt, in der sich die Geschichte ereignete. Man könnte denken, es gehe mir wie jenem, den die Redensart beschreibt; doch der Wald, darauf bestehe ich, ist eine reine Behauptung, ein abstraktes System, das in der Wirklichkeit nicht zu finden ist. Der Wald zerfällt in lauter Bäume, genau wie der Himmel in Planeten zerfällt, in Sterne und Meteore." (S. 7f) In diesem Abschnitt wird schon deutlich, was den Roman neben dem Sog der Geschichte ausmacht: Bärfuss flicht immer wieder philosophische Gedanken darüber ein, was Zufall ist, was freier Wille, was Schicksal, was ein Anfang, was ein Ende. Und wie beeinflusst unsere Zivilisation unser Handeln? Wie abhängig sind wir von der Technik? Nicht alles hat sich mir an diesem Roman erschlossen. Besonders die Bedeutung der Szene in einem Hörsaal, die Philip aus seinem Tunnel zerrt und dazu führt, dass er versucht, seine Sekretärin per Münztelefon zu erreichen und ins normale Leben zurückzukehren, konnte ich nicht nachvollziehen. Fazit Lukas Bärfuss ist mit "Hagard" ein sehr spannender Roman gelungen. Es ist aber nicht einfach eine Geschichte - wie sie so oft erzählt wird - eines Endvierzigers, der aus seinem bürgerlichen Leben ausbricht. Das Buch hat starke philosophische Passagen über den Sinn des Lebens, das Funktionieren unserer Gesellschaft und das menschliche Wesen, meisterhaft eingeflochten in die Handlung. Ein Roman, der zum Nachdenken über sich selbst, die Gesellschaft und die Technik anregt und so lange nachklingt. Die Fakten Hagard Lukas Bärfuss Wallstein 180 Seiten Erschienen am 21.02.2017 ISBN: 978-3-8353-1840-3 Leseprobe und mehr bei Wallstein Nomination für den Leipziger Buchpreis 2017 Wallstein auf Facebook Wallstein auf Instagram

  • 24 Türchen - 24 Kinderbücher

    Der Advent steht kurz bevor und damit auch all die Türchen, die Kinder und Erwachsene mit leuchtenden Augen Tag für Tag öffnen. Dieses Jahr öffnen auch 13 Kinderbuchbloggerinnen für euch 24 Türchen. Ich darf für MINT & MALVE zwei beisteuern. Vom 1. bis zum 24. Dezember empfehlen euch die Kinderbuchblogs jeden Tag ein besonderes Kinderbuch. Und das Beste daran? Ihr kriegt nicht nur tolle Tipps, sondern könnt das Buch auf den Blogs jeweils gewinnen, wenn ihr einen Kommentar hinterlasst. Und hier öffnen sich die Türchen: 1. Dezember bei Kinderbuch-Detektive 2. Dezember bei Kids&Cats 3. Dezember bei Lütte Lotte 4. Dezember bei Papillionis liest 5. Dezember bei Kinderbuch-Detektive 6. Dezember bei Die Bücherwelt von Corni Holmes 7. Dezember bei Favolina & Junior 8. Dezember bei Juli liest 9. Dezember bei Lütte Lotte 10. Dezember bei Buchverzückt 11. Dezember bei Familienbücherei 12. Dezember bei Geschichtenwolke Kinderbuchblog 13. Dezember bei MINT & MALVE- ALSO BEI MIR! 14. Dezember bei Kunterbuntes Bücherregal 15. Dezember bei Familienbücherei 16. Dezember bei Letteraturen 17. Dezember bei Papillionis liest 18. Dezember bei Kids&Cats 19. Dezember bei Kinderbuch-Detektive 20. Dezember bei MINT & MALVE - ALSO BEI MIR! 21. Dezember bei Juli liest 22. Dezember bei Familienbücherei 23. Dezember bei Buchverzückt 24. Dezember bei Kinderbuch-Detektive Was hinter den einzelnen Türchen steckt, bleibt selbstverständlich streng geheim bis jeweils um 0:00 Uhr. Natürlich weisen wir auf unseren Social Media Kanälen Facebook, Instagram, Twitter und Pinterest auch fleissig auf die Aktion hin und freuen uns, wenn ihr die Kunde vom #kinderbuchadvent mit uns in die Welt hinaustragt. Auf eine besinnliche Adventszeit mit glänzenden Kinderaugen und viel Zeit zum Vorlesen! Herzlichen Dank für die Idee und die gesamte Organisation an Anna von den Kinderbuch-Detektiven.

  • Bücher eröffnen Welten

    Heute, am deutschen Vorlesetag, am Tag nach dem Internationalen Tag der Toleranz, zeigen Kakaoschnuten und MINT & MALVE zusammen mit euch, wie Toleranz und Vielfalt im Buch und Kinderbuch gehen! Eine Auswahl meiner liebsten Bücher und Kinderbücher zum Thema Weltoffenheit findet ihr in diesem Blogbeitrag und im Verlaufe des Tages auch auf Instagram, Facebook, Twitter und Pinterest. Haltet einfach Ausschau nach dem Hashtag #bücherfürmehrweltoffenheit. Und macht gerne jederzeit mit! Ganz am Ende dieses Beitrags findet ihr einige Links zu Bloggerinnen, die sich auch Gedanken zu Vielfalt und Toleranz im Buch und Kinderbuch gemacht haben. Gerne ergänze ich euren Link. Schreibt mir einfach eine Mail. Vielfalt und Toleranz im Buch und Kinderbuch Bücher eröffnen uns neue und andere Welten, lassen uns über unsere Nasenspitze hinausdenken, fordern uns auf, neue Perspektiven einzunehmen. Bücher lassen uns eintauchen in die Vielfalt der Bilder, der Kulturen und Sprachen. Sie fördern das Ein- und das Mitfühlen. Sie fördern Toleranz und Akzeptanz. Deshalb bin ich überzeugt, dass Lesen und Vorlesen zu einer vielfältigen Gesellschaft, einer toleranten Gemeinschaft, einer offenen Welt beitragen. Zur besseren Orientierung beginne ich mit den Büchern für die Kleinen und schliesse mit den Büchern für Erwachsene. Wir starten mit zwei Bilderbüchern, die in gedeckten Farben und sehr poetisch davon erzählen, was wir alles gemeinsam haben und wie alles auf der Welt zusammenhängt. Zusammen umarmen wir die ganze Welt Manuela Monari, Evelyn Daviddi, Coppenrath, 2017, ISBN: 978-3-649-62602-2, ab 3 Jahren Das italienische Duo erzählt in seinem Bilderbuch, das wunderbar in den Herbst passt, ganz poetisch vom kleinen Bären, dessen Papa und wie alles auf der Welt zusammenhängt: "Genau, kleiner Bär, die Welt ist ein riesiges Knäuel aus Umarmungen. (...) Wir gehören alle zusammen". Die deutsche Übersetzung stammt von Ulrike Schimming. Ihren Blog letteraturen über Kinder- und Jugendbücher kann ich euch wärmstens empfehlen. > Zum Buch Zusammen unter einem Himmel Britta Teckentrup, ars edition, 2017, ISBN: 978-3-8458-1973-0, ab 4 Jahren Es kommt schon in der Widmung zum Ausdruck, dieses Buch hat Britta Teckentrup "für eine vereinte Welt" gestaltet. Mit Löwen, Pinguinen, Katzen, Vögeln, Delphinen, Wölfen und mehr reisen wir durch alle Kontinente, durch Steppen, Meere, über Berge, durch die Lüfte sowie durch alle Tages- und Jahreszeiten und befinden uns doch immer unter ein- und demselben Himmel. Das Besondere am Buch sind neben Britta Teckentrups charakteristischen Illustrationen die Gucklöcher, die verschiedene Seiten sowohl textlich als auch gestalterisch miteinander verbinden. > Zum Buch Mit dem folgenden Buch bleiben wir im Tierreich, aber auch hier lässt sich die Botschaft natürlich übertragen auf uns Menschen. Neben kultureller Vielfalt soll in diesem Beitrag auch die Vielfalt der Geschlechterrollen und die Toleranz für Liebe in jeder Form ihren Platz erhalten. Zwei Papas für Tango Edith Schreiber-Wicke und Carola Holland, Thienemann, 2005 und 2017, ISBN: 978-3-522-45847-4, ab 4 Jahren Die Autorin erzählt die wahre Begebenheit nach, wie Silo und Roy, zwei männliche Pinguine, im Zoo von Manhattan gegen alle Widerstände zusammenbleiben, ein Ei ausbrüten und die Papas vom kleinen Tango werden. Die Geschichte ist witzig erzählt und kommt ganz ohne moralischen Zeigefinger aus. > Zum Buch Bei den Bilderbuchprogrammen von 2016 und 2017 fällt auf, dass die Themen der Vielfalt, von Flucht und Migration sowie von offenen und geschlossenen Grenzen und Grenzüberschreitungen häufig im Zentrum stehen und das sehr kreativ, berührend und auch mal mit Humor. Hier kommt keiner durch! Isabel Minhós Martins und Bernardo P. Carvalho, Klett Kinderbuch, 2016, ISBN: 978-3-95470-145-2, ab 4 Jahren "Hier kommt keiner durch!" ist ein ganz besonderes Buch, die Hälfte der Seiten ist praktisch leer. Denn der General, auch bekannt als "der Bestimmer", möchte die Leute von der rechten Seite fernhalten, er will sie ganz für sich haben. Ein Glück für all die Menschen und Tiere, dass der Aufpasser seinen Auftrag nicht erfüllt, sich erweichen lässt und anstelle des Generals zum Helden der Geschichte wird. Das Buch zeigt in bester Wimmelbuchmanier, wie willkürlich eigentlich Grenzen sind und wie befreiend es ist, diese zu sprengen. Es wurde dieses Jahr mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis in der Kategorie Bilderbuch ausgezeichnet. > Zum Buch Die Flucht Francesca Sanna, NordSüd Verlag, 2016, ISBN: 978-3-314-10361-2, ab 4 Jahren Wie sprecht ihr mit Kindern über Flucht und Migration? Ganz gut geht das mit "Die Flucht" von Francesca Sanna. Aus der Sicht zweier Kinder erzählt die Autorin und Illustratorin die Geschichte einer Familie, die vom Krieg hart getroffen wird und die Flucht ergreift, um einen Weg ins friedliche Europa, in ein Land mit hohen Bergen zu suchen. Text und Illustration zeigen zwei unterschiedliche Perspektiven. So sind wir gleichzeitig aussenstehender Beobachter und erleben die Flucht durch Kinderaugen oder vielmehr -seelen. Die Illustrationen sind sehr intensiv, das offene Ende sehr stimmig. Mit ihrem Bilderbuchdebüt ist die Autorin für den Schweizer Kinder- und Jugendmedienpreis 2017 nominiert. > Zum ausführlichen Blogbeitrag PUNKTE Giancarlo Macrì, Carolina Zanotti, Gabriel Verlag, 2017, ISBN: 978-3-522-30471-9, ab 4 Jahren Dieses Bilderbuch ist nicht wirklich bunt. So gar nicht. Es ist nämlich nur schwarz und weiss und beinhaltet nur Punkte - und so heisst das Buch von Giancarlo Macrì und Carolina Zanotti auch: PUNKTE. Das minimalistisch gestaltete Bilderbuch aus dem Gabriel Verlag (Thienemann Esslinger) thematisiert mit einfachsten Mitteln und ganz wenig Text das Thema Flucht und den Umgang mit ihren Ursachen und Folgen. Und es zeigt: "Zusammen schaffen wir so viele Dinge!". > Zum Buch Der geheimnisvolle Koffer von Herrn Benjamin Pei-Yu Chang, NordSüd Verlag, 2017, ISBN: 978-3-314-10382-7, ab 5 Jahren Pei-Yu Chang erzählt in ihrem Bilderbuch die Geschichte des deutschen Philosophen und Schriftstellers Walter Benjamin (1892-1940), der zu Beginn des Zweiten Weltkriegs vor den Nationalsozialisten flüchten musste, weil er angeblich gefährliche Ideen hatte. Die Hauptrolle spielen sein Koffer und das Geheimnis um dessen Inhalt. Die Autorin und Illustratorin hat ihr Buch in einem ganz aussergewöhnlichen Mix aus Collagen und Farbstiftzeichnungen gestaltet. Mit ihrem Bilderbuchdebüt regt sie zum Nachdenken über die Freiheit der Gedanken, Ideen, Theorien und Meinungen an. > Zum Buch Mit dem folgenden Buch kommen wir nochmals auf Geschlechterrollen und Geschlechterklischees zu sprechen, dringen aber auch vor in das Thema Transgender. Prinzessin Hannibal Melanie Laibl und Michael Roher, Luftschacht Verlag, 2017, ISBN: 978-3-903081-12-3, ab 6 Jahren Prinz Hannibal wäre viel lieber eine Prinzessin. Deshalb holt er sich Ratschläge von seinen sieben Schwestern, doch diese gleichen einer Tortur durch die Märchenwelt von Aschenbrödel über Schneewittchen bis zu Rapunzel. Am Ende sieht Hannibal ein, dass er vor allem auf sein Herz hören muss. Ein Bilderbuch für alle "Helden in Blümchenstrumpfhosen", wie es eingangs heisst und ebenso für alle Fans besonderer Illustrationen, die mit ihren Kindern das Thema Transgender ansprechen möchten. > Zum Buch Auch Jugendbücher thematisieren verständlicherweise immer wieder Vielfalt, Geschlechterrollen und die Suche nach dem eigenen Platz in der Gesellschaft, die Herausbildung einer eigenständigen Persönlichkeit. Good Night Stories for Rebel Girls – 100 aussergewöhnliche Frauen Elena Favilli, Francesca Cavallo, Hanser Verlag, 2017, ISBN: 978-3-446-25690-3, ab 12 Jahren Die 100 Geschichten zeigen eine unglaubliche Palette an starken, rebellischen Frauen aus aller Welt, die Hürden überwunden, Schicksalsschläge weggesteckt, Schlechtes in Gutes verwandelt, gekämpft, gelebt, andere mit ihrer Neugier angesteckt und motiviert haben. Besonders zu empfehlen sind im Zusammenhang mit den Themen Vielfalt und Toleranz zum Beispiel die Portraits von Aung Sang Suu Kyi (Politikerin und Friedensnobelpreisträgerin), Irena Sendler (Widerstandskämpferin) oder Eufrosina Cruz (Politikerin und Aktivistin). Das Buch ist nominiert für das Wissenschaftsbuch des Jahres 2018. > Zum ausführlichen Blogbeitrag Haroun and the Sea of Stories (Harun und das Meer der Geschichten) Salman Rushdie, Granta Books,1991, ISBN: 0-14-014035-2, ab 9 Jahren Salman Rushdies "Haroun and the Sea of Stories" ist eine Hommage an das Geschichtenerzählen, eine Liebeserklärung an die Literatur. Nachdem Rushdie wegen seines Buches "Die satanischen Verse" vom Iran zum Tode verurteilt worden war, schrieb er dieses Jugendbuch einer fantastischen Welt mit realen Elementen. Es lässt sich nicht nur als Buch über Geschichten lesen, sondern auch als Gegenüberstellung von demokratischen und autoritären Regimes oder Gesellschaften und ist deshalb für Erwachsene eine ebenso spannende Auseinandersetzung mit der politischen Realität wie es Jugendliche auf eine fantastische Abenteuerreise mitnimmt. > Zum Buch Bei den Büchern für Erwachsene beschäftigen mich immer wieder Romane und Berichte aus der Zeit der beiden Weltkriege, des Nationalsozialismus und der jüdischen Geschichte. Ida & Louise Louise Carpenter, Dörlemann Verlag, 2007, ISBN: 978-3-908777-54-0 Ida und Louise Cook waren zwei besondere Schwestern. Wie die Jungfrau zum Kinde kamen sie vor dem Zweiten Weltkrieg dazu, mindestens 29 Juden zur Ausreise aus Deutschland zu verhelfen und ihnen damit das Leben zu retten. Am liebsten würde man nach der Lektüre noch viel mehr erfahren über die bescheidenen Heldinnen, die sich ihr ganzes Leben lang nicht als solche gesehen haben und sich wohl auch nie wirklich bewusst wurden, in welcher Lebensgefahr sie damals schwebten, wie selbstlos sie gehandelt haben. > Zum ausführlichen Blogbeitrag Melnitz Charles Lewinsky, dtv, 2007, ISBN: 978-3-423-13592-4 Die Familiensaga "Melnitz", ein echter Wälzer für lange Herbst- oder Wintertage, vom Schweizer Charles Lewinsky spielt unter anderem im Aargauer Städtchen Baden, in den Surbtaler Dörfern Endingen und Lengnau und in Zürich. Der Autor erzählt die Geschichte der jüdischen Familie Meijer aus dem Judendorf Endingen zwischen 1841 und 1945. Der Roman lässt uns den Traum von der Akzeptanz mitträumen, während die Welt rund um die Protagonisten aus den Fugen gerät. Besonders schön ist die mit Jiddisch und Hebräisch durchwirkte Sprache, besonders spannend die politischen und gesellschaftlichen Verwerfungen rund um die erste Abstimmung über eine Volksinitiative zum Schächtverbot, besonders bedenkenswert der förmlich spürbare Antisemitismus. Für historisch und politisch Interessierte und Anhänger detailreicher Familiengeschichten eine absolute Leseempfehlung! > Zum Buch Und schliesslich zeigen uns auch Rieseberichte, Reportagen oder Bildbände aus fernen Ländern und Kulturen, wie gross die Vielfalt auf der Welt ist und wie spannend es ist, einen Teil davon zu entdecken. Auch wenn das manchmal - wie derzeit im Falle Afghanistans - nur zwischen zwei Buchdeckeln möglich ist. Afghanische Reise / Afghanistan Roger Willemsen, Fischer Verlage, 2007, ISBN: 978-3-596-17339-6 / Jaroslav Poncar, Edition Panorama, ISBN: 978-3-89823-544-0 "Afghanische Reise" von Roger Willemsen ist ein Reisebericht der besonderen Art. Mit neugierigem Blick betrachtet er das erwachende Land um 2005 und schildert seine Eindrücke in wunderbar poetischer Sprache. > Zum Buch Betrachtet man dazu den Bildband "Afghanistan" von Jaroslav Poncar und sieht die Schönheit Afghanistans jenseits von Krieg und Zerstörung, möchte man sofort dahin reisen, wenn man denn nur könnte! > Zum Buch / zur Website von Jaroslav Poncar Ihr habt noch nicht genug? Hier findet ihr noch mehr #bücherfürmehrweltoffenheit: Kolibri - Kulturelle Vielfalt in Kinder- und Jugendbüchern, Empfehlungsliste 2017/2018 von Baobab Books Ich lese mich rund um die Welt - Blogbeitrag von Bettina auf Bleisatz Weltkindertag 2017 - eine Welt für alle - Blogbeitrag von Janet auf Kinderbuchlesen.de Bücher: Toleranz und Weltoffenheit - Blogbeitrag von Sarah auf vorstadtmuddi.at

  • Von der Idee zum Bilderbuch

    Wie entsteht ein Kinderbuch? Die Geschichte des Bilderbuchs "Ein Loch gegen den Regen?" von Daniel Fehr und Francesca Sanna hat mit einem Satz begonnen. Welcher Satz das war, erfahrt ihr im folgenden Interview mit Autor Daniel Fehr. Auch Illustratorin Francesca Sanna hat mir Auskunft dazu gegeben, wie dieses Buch entstanden ist. Aber zuerst zum Inhalt. Nur Mut, kleiner Hase! Der Hase gräbt ein Loch, ein Loch gegen den Regen. Schliesslich ziehen gerade dunkle Wolken auf. Der Bär findet, das gehe so nicht: "Gegen den Regen gräbt man doch kein Loch. Gegen den Regen braucht man eine Höhle". Der Hase lässt sich davon nicht beirren und gräbt weiter. Nach und nach tauchen weitere Tiere auf - der Dachs, das Eichhörnchen, der Specht, der Biber und die Kuh. Und sie alle wissen viel besser als der Hase, wie man sich vor dem Regen schützt. Oder doch nicht? Die Tiere diskutieren und diskutieren, die Regenwolken kommen immer näher, der Hase gräbt und gräbt. Und dann... fällt der erste Tropfen, der Regen wird stärker und stärker. Am Ende regnet es in Strömen. Bär, Kuh, Eichhörnchen, Biber, Dachs und Specht werden nass. Und der Hase? Der schlüpft ins Loch. Und bleibt trocken. Autor Daniel Fehr erzählt genau richtig für dreijährige Kinder: In ganz einfachen, trockenen Sätzen, mit immer wiederkehrendem Muster. Bis es tropft, bis es regnet, bis es ziemlich stark regnet. Und da schlüpfen die kleinen Leserinnen und Leser gedanklich mit dem schlauen, hartnäckigen Hasen ins Loch und lachen sich ins Fäustchen, dass die Besserwisser rundherum ganz nass werden. Francesca Sanna (bekannt von ihrem Kinderbuchdebüt "Die Flucht", das ich auch schon vorgestellt habe) hat die Geschichte in ihrem unverkennbaren Stil illustriert. Die gedeckten, herbstlichen Farben hat sie flächig eingesetzt. Feine Details hauchen den Tieren Leben und Charakter ein. Für "Ein Loch gegen den Regen?" fertigte die Illustratorin im Zoologischen Museum in Zürich zuerst zahlreiche Skizzen der Tiere an, um sich den Anatomien und Posen jedes Tieres anzunähern. Danach stellte sie eine Farbpalette zusammen, passend zum natürlichen Umfeld, aber mit ein paar Kontrasten (z.B. Gelb). Die von Hand gezeichneten Texturen und Details scannte sie ein, um sie digital zu arrangieren und mit den gewählten Farben zu versehen. Fazit "Ein Loch gegen den Regen" von Daniel Fehr und Francesca Sanna zeigt - wunderschön illustriert -, dass sich Hartnäckigkeit, Durchhaltewillen, ja Mut auszahlt. Wer überzeugt ist von einer Sache, kann sie auch erreichen, selbst wenn er oder sie auf Widerstand stösst. Und das höchste Lob an dieses Buch? "Nochmal!", sagte meine Tochter nach dem ersten Durchgang und seither folgten viele weitere. Der Autor im Interview Wie bei fast jedem Buch hat mich nach dem Vorlesen wunder genommen, wie denn "Ein Loch gegen den Regen?" überhaupt entstanden ist. Daniel Fehr stellte sich meinen Fragen in einem kurzen Interview. MINT & MALVE: Was war zuerst da? Das Loch, der Hase oder der Regen? Oder die Idee, ein Bilderbuch zum Thema Durchhaltewillen zu machen? Daniel Fehr: Am Anfang war der Satz: "Nein, so geht das nicht!" Und hätte ich auf diesen Satz gehört, dann gäbe es wohl heute das Buch nicht. Die Tiere kamen nach und nach dazu, eines nach dem anderen – immer mit dem Satz im Mund: "Nein, so geht das nicht!" Die Geschichte stellt ihm etwas entgegen: einen kleinen, grabenden Hasen. Vielleicht war der Hase sogar ein wenig eher da. (Nicht schlecht für einen Hasen, denn gewöhnlich sind es die Igel, die immer schon da sind und den Hasen alt aussehen lassen.) Wie kam es zur Zusammenarbeit mit der Illustratorin Francesca Sanna? Der atlantis Verlag und ich suchten nach einer passenden Illustratorin für meinen Bilderbuchtext. Der Programmverantwortliche, Hans ten Doornkaat, brachte Francesca Sanna ein und sie wurde schnell zu meiner Wunschkandidatin. So sehr, dass wir ohne Alternative auf sie setzten. Ihre Figuren haben einen starken Charakter und sind doch nüchtern genug, dass sie bestens zum lakonischen Text passen. Glücklicherweise sagte sie sofort zu. Und wie haben Sie zusammengearbeitet? Hatten Sie bereits eine Vorstellung, wie die Tiere und die Umgebung aussehen sollten oder haben Sie Francesca Sanna völlig freie Hand gelassen? Wenn ich einen Bilderbuchtext schreibe, habe ich bereits eine Vorstellung von Setting und Ablauf. Zudem weiß ich schon ziemlich genau, welcher Textteil auf welcher Doppelseite stehen soll. Ich schreibe also nicht nur einen Text, sondern konzipiere ein Bilderbuch. Trotzdem vertraue ich danach ganz auf die Arbeit der Illustratorinnen und Illustratoren. Gute Illustratorinnen und Illustratoren wie Francesca Sanna erfassen nicht nur den Kern eines Textes sehr schnell und präzise, sie bringen auch ihre eigene Sicht in den Text hinein und bereichern ihn. Dieses Zusammenspiel von Text und Illustration macht ein Bilderbuch erst zu einem spannenden Bilderbuch. Dürfen wir uns 2018 auf ein weiteres Bilderbuch von Ihnen freuen? Das nächste Buch, das von mir in deutscher Sprache veröffentlicht wird, erscheint voraussichtlich im Frühling 2018. Leider darf ich hier noch nicht mehr verraten. Nur so viel: Ich freue mich sehr darauf, denn auch dieses Buch hat einen grossartigen Illustrator. Mehr von Daniel Fehr - Bücher und Spiele Diesen Herbst ist bei Templar Publishing, einem englischen Verlag, Fehrs drittes Bilderbuch erschienen: Mr Left and Mr Right, wunderbar illustriert von Celeste Aires. Mr Left and Mr Right ist ein Bilderbuch mit Klappen, das Gross und Klein animiert, um die Ecke zu denken. Da es wenig Text hat, eignet es sich auch gut, um mit Kindern erste englische Worte zu lernen. Daniel Fehr arbeitet nicht nur als Bilderbuchautor, sondern entwickelt auch Gesellschaftsspiele für Kinder und Erwachsene. Wer auf dem Laufenden bleiben will, kann hier seinen Newsletter abonnieren. Die Fakten Ein Loch gegen den Regen? Daniel Fehr (Text) Francesca Sanna (Illustration) atlantis Verlag 32 Seiten Erschienen am 26.08.2016 Ab 3 Jahren ISBN: 978-3-7152-0719-3 Leseprobe und mehr bei Atlantis Website von Daniel Fehr Website von Francesca Sanna

  • Bücher für mehr Weltoffenheit

    Erschrecken euch die aktuellen politischen Entwicklungen auch so? Würdet ihr auch gerne ein Signal gegen Intoleranz, Konservatismus, Fremdenfeindlichkeit, Monotonie und Engstirnigkeit setzen? Dann seid dabei, wenn es am 17. November heisst #bücherfürmehrweltoffenheit von @kakaoschnuten und @mintundmalve auf Instagram, Facebook, Twitter und Pinterest oder auf eurem Blog. Rechtsrutsch bei den deutschen Bundestagswahlen, AFD-Politiker sollen anlässlich des bundesweiten Vorlesetages Kindern Geschichten erzählen. Gleichzeitig werden Flüchtlinge an den EU-Aussengrenzen zurückgeschickt, obwohl es für sie kein Zurück gibt. Entwicklungsgelder werden gestrichen. Die Schweiz diskutiert über ein Vermummungsverbot, sprich: das Verbot von Burka und Hidschab. Den Bau von Minaretten hat die Schweizer Bevölkerung schon verboten. Österreich schrammt haarscharf an einem rechtspopulistischen Bundespräsidenten vorbei, um dann bei der nächsten Parlamentswahl wieder nach rechts zu rücken. Das sind Entwicklungen, die uns zu denken geben. Deshalb rufen wir die Aktion #bücherfürmehrweltoffenheit von @kakaoschnuten und @mintundmalve ins Leben: Am 17. November 2017 zeigen wir allen, wie Toleranz und Vielfalt im Buch und Kinderbuch gehen! Wir laden euch alle herzlich ein, dabei zu sein. Egal ob Bookstagrammer, Buchblogger, Booktuber, Instamama, Papablogger, Buchverlag, Buchhandlung, Bibliothek oder sonst irgendwie bücherliebend, zeigt uns eure liebsten Bücher und Kinderbücher zum Thema Weltoffenheit – auf Instagram, auf Facebook, Twitter, Pinterest oder auf eurem Blog. Egal wo, Hauptsache mit dem Hashtag #bücherfürmehrweltoffenheit. Wir wollen eine vielfältige Gesellschaft, eine tolerante Gemeinschaft, eine offene Welt! Und wir sind überzeugt: Bücher eröffnen uns neue und andere Welten, lassen uns über unsere Nasenspitze hinausdenken, fordern uns auf, neue Perspektiven einzunehmen. Bücher lassen uns eintauchen in die Vielfalt der Bilder, der Kulturen und Sprachen. Sie fördern das Ein- und das Mitfühlen. Sie fördern Toleranz und Akzeptanz. Wir freuen uns, wenn ihr diese Einladung auf all euren Kanälen teilt und interessierte Freunde zum Mitmachen auffordert. Wir freuen uns auf einen bunten Büchertag! MINT & MALVE und Kakaoschnuten #bücherfürmehrweltoffenheit auf Instagram #bücherfürmehrweltoffenheit auf Facebook #bücherfürmehrweltoffenheit auf Twitter #bücherfürmehrweltoffenheit auf Pinterest Zum Blog von Kakaoschnuten

  • Selbermachen ist Trumpf

    Basteln, Selbermachen, Upcycling und DIY liegen im Trend. Jetzt habe ich das richtige Buch gefunden, um als totale Anfängerin munter ans Werk zu gehen: "Kinderkram" von Djennat Derradj aus dem AT Verlag. Und das Beste? Ihr könnt ein Exemplar davon gewinnen! Die DIY-Blogs spriessen nur so aus dem Boden. In vielen Familienhaushalten entdecke ich praktische Kindermöbel - selbst gemacht (z.B. der Kindertisch von Chez Mama Poule)! Freundinnen sind seit Jahren im Strick-, Häkel- oder Nähfieber. Auf Pinterest springen mich die Inspirationen nur so an und wenn ich eine Pralinéepackung wegwerfe, denke ich schon reflexartig: "Nein, die kannst du bestimmt nochmal für etwas brauchen!". Da gibt es nur zwei Probleme: Erstens überfordert mich die Flut an Ideen im Internet und zweitens bin ich das pure Gegenteil einer Basteltante. Sprich: Ich brauche eine Anleitung für Banausen. Genau das bietet "Kinderkram": 80 sehr gut ausgewählte Ideen für Möbel, Spielzeug und Accessoires mit Schritt-für-Schritt-Anleitung. Basteln und Werken - das ganze Jahr! Das Buch ist nach Jahreszeiten gegliedert. Im Frühling geht's blumig zu und her und für Ostern ist natürlich auch was dabei! Im Sommer geht's raus ins Tipi oder auf die Picknickdecke. Drin wird's bunt mit wunderbar bemalten Körben, Federschmuck und bedruckter Bettwäsche. Im Herbst wird es kuschlig und wild - ob mit dem Kuscheltierstuhl, den Monsterkissen oder der Raubtier-Garderobe. Im Winter dürfen viel Licht und eine ganze Serie an Geschenkideen für Weihnachten natürlich nicht fehlen! Besonders gefällt mir, dass viele Materialien schon im Haushalt vorhanden sind - Duplos, Bauklötze, alte Bücher, Petflaschen. Anderes ist in der Natur leicht zu finden, wie Tannzapfen, Blätter und Äste, oder es setzt Fundstücke wie Federn und Blumen so richtig in Szene. Zudem ist alles mal gefragt: Schneiden, Nähen, Kleben, Hämmern, Bohren, Sägen und Malen. Und das Beste an diesem Buch? Es hat auch Buchideen drin! Da hüpft mein Buchliebhaber-Herz. Fazit Bei jedem Umschlagen der Seite habe ich zu meiner Tochter gesagt: "Wow, das ist ja cool, das machen wir!". Okay, so schnell ging's dann doch nicht, aber wir sind in Planung! Djennat Derradj bietet mit "Kinderkram" wirklich für jeden und jede etwas, egal ob gross oder klein, egal ob Junge oder Mädchen, egal ob für Oma, Opa, Götti oder Gotte, egal ob fürs Wohn-, Spiel- oder Schlafzimmer, für draussen oder drinnen. Die Ideen reichen von einfach und praktisch über phantasievoll und verspielt bis zu handwerklich anspruchsvolleren Möbelstücken oder Näh- und Malarbeiten. Dieses Buch ist perfekt für alle, die gerne werken und gestalten oder damit beginnen möchten. PS: Manche kennen Djennat Derradj und ihre tollen Werk- und Basteltipps bestimmt aus dem "wir eltern". Das Buch entstand denn auch aus einer Zusammenarbeit des AT Verlags mit "wir eltern". Ebenfalls Lesenswert sind Djennat Derradjs Tipps in Sachen "Herantasten ans Werken und Basteln mit Kindern". Die Fakten Kinderkram Djennat Derradj (Fotos: Martina Meier) AT Verlag 176 Seiten Erschienen am ISBN: 978-3-03800-990-0 Verlosung Wenn ihr an der Verlosung teilnehmen möchtet, hüpft rüber zu @mintundmalve auf Instagram oder MINT & MALVE auf Facebook. Viel Glück! Herzlichen Dank an den AT Verlag für das Verlosungsexemplar. Blick ins Buch und mehr beim AT Verlag Kreativ-Label "Nanu" von Djennat Derradj AT Verlag auf Facebook AT Verlag auf Instagram

  • Habt ihr schon Käffchen?

    Ein neuer Roman von Sven Regener weckt Erwartungen, hohe Erwartungen. Hat "Wiener Strasse" diese in meinem Fall erfüllt oder nicht? Das und ein bisschen was aus dem Nähkästchen der Frankfurter Buchmesse erfahrt ihr in diesem Blogbeitrag. Der neue Roman von Sven Regener startet fulminant: "Die Tür fiel zu und es war zappenduster." Was denn hier überhaut los ist mit Frank Lehmann und den ganzen anderen Pfeifen rund um Erwin Kächele - den Inhaber des Café Einfall, Wiener Strasse, Kreuzberg, Westberlin, November 1980 - müssen wir uns im nächsten Satz - einem Monstrum von Satz über zweieinhalb Seiten - teuer erarbeiten. Es lohnt sich, die Ausgangslage ist danach klar: Erwin Kächele und seine Freundin Helga erwarten ein Kind. Klar, dass sie da etwas mehr Ruhe brauchen und ihre Mitbewohner Frank Lehmann, Karl Schmidt, H.R. Ledigt und Erwins Nichte Chrissie ausquartieren wollen. Gesagt, getan. Erwin mietet die Wohnung über seiner eigenen dazu und spediert die ganze Truppe aus seiner Wohnung. So einfach die Idee, so schwierig gestaltet sich die Umsetzung. Schon im Baumarkt geht der erste verloren, H.R. Ledigt. Den kümmert das aber wenig. Er kauft sich - nicht ohne einen Streit vom Zaun zu brechen - eine Kettensäge und läuft damit den ganzen Weg zurück in die Wiener Strasse, in ständiger Angst vor den Kindern, die sich im Quartier rumtreiben. Die dringend notwendige Renovation der ganz in Schwarz gestrichenen Wohnung übernimmt hauptsächlich Nachbar Marko, weil die anderen eigentlich nicht so wirklich Bock auf die oder Ahnung von der Sache haben. Im Verlauf der Geschichte, die ohne grössere Handlung auskommt, mehr auf witzigen Szenen aufbaut, treten die österreichischen Aktionskünstler der ArschArt Galerie auf den Plan. Sie haben ausgerechnet den ehemaligen Intimfriseurladen direkt neben dem Einfall gekauft und machen Erwin und seinen Freunden fortan das Leben schwer und der Neuen Neuen Nationalgalerie, eigentlich die Auslage vom Tresen, von H.R. Ledigt und Karl Schmidt Konkurrenz. Und dann taucht auch noch Erwins Schwester Kerstin auf und nötigt ihn, mit Helga den Geburtsvorbereitungskurs zu besuchen, Übungsbauch a.k.a Schwangerschaftssimulator inklusive. Das Ganze gipfelt in einem grossen Tumult - ja die Kettensäge spielt da eine gewisse Rolle - rund um die sehr avantgardistische Kunstausstellung "Haut der Stadt". Ein typischer Regener - oder doch nicht? Die Sprache, der Wortwitz, der Umgang mit dem Berliner Dialekt, der Humor, die 80er-Jahre in Berlin, die Künstlerszene, der liebevolle Blick auf all die Pfeifen, die prominente Rolle einer Kaffeemaschine, all das ist typisch Regener und hat mir an "Wiener Strasse" wie erhofft gut gefallen. Mühe habe ich hingegen mit der häufig wechselnden Erzählperspektive. Das ist neu: Sowohl in den drei "Frank Lehmann"-Bänden als auch in "Magical Mystery" erzählt Sven Regener strikt aus der Perspektive des Hauptprotagonisten, zwar in der dritten Person, aber es fühlt sich an wie ein innerer Monolog und so versinken wir tief in der Denkweise von Frank bzw. Karl. Das ist in "Wiener Strasse" anders und so fehlen mir das Mitfühlen mit einer Person, das sich Zurechtfinden in ihren Gehirnwindungen. Die Identifikation mit den Figuren fällt hier deutlich schwerer. Sven Regener hat "Wiener Strasse" an der Frankfurter Buchmesse im Gespräch mit SPIEGEL-Autor Wolfgang Höbel als seinen humorvollsten Roman bezeichnet. Das würde ich unterschreiben. Und damit erreicht er auch sein Ziel, seine Leser gut zu unterhalten - ohne dabei allen gefallen zu wollen. Trotz einiger Längen im Mittelteil hätte ich nach den knapp 300 Seiten gerne noch weitergelesen. Und wie Sven Regener so treffend sagt: "Belletristik ist Kunst, nicht der verlängerte Arm der Volkshochschule". Insofern stört es mich auch überhaupt nicht, dass Regener mit seinem fünften Berlin-Roman nicht plötzlich ein schwer zugängliches, schwer verdauliches, hochgestochenes literarisches Werk präsentiert, sondern uns einmal mehr in seiner saloppen, schnoddrigen Art in die 80er-Jahre entführt, die er nun mal so gut kennt. Immerhin hat er es damit auf die Longlist des diesjährigen Deutschen Buchpreises geschafft. Dass es für die Shortlist nicht gereicht hat, war leider zu befürchten. Und schliesslich hoffe ich, dass es stimmt, wenn Regener meint: "Es sagt ja niemand, dass ich da nicht noch weitermache, solange es mir Spass macht" (ganzes Interview als Podcast hören). Wir dürfen also darauf hoffen, bald wieder in das Universum von Frank Lehmann und Konsorten einzutauchen. Aber zuerst ist wohl ein neues Album von "Element of Crime" angesagt. Fazit Wer die Lehmann-Trilogie liebt, wird auch Sven Regeners "Wiener Strasse" mögen. Der Roman strotzt vor trockenem Humor und Sprachwitz, schafft ein wunderbar skurriles Künstler-und-andere-Pfeifen-auf-der-Suche-nach-einem-Lebensinhalt-Ambiente. Und mal ehrlich, wer will ein Buch mit so geilem Cover - danke, Rike Weiger! - nicht in seinem Regal stehen haben. Für alle Lehmannianer also eine klare Lese- und Kaufempfehlung! Die Fakten Wiener Strasse Sven Regener Galiani Berlin 304 Seiten Erschienen am 07.09.2017 ISBN: 978-3-86971-136-2 Herzlichen Dank an den Verlag Galiani Berlin für das Rezensionsexemplar. Leseprobe und mehr bei Galiani Berlin Sven Regener auf Facebook Galiani Berlin auf Instagram Galiani Berlin auf Facebook

  • An alle rebellischen Mädchen

    Elena Favilli und Francesca Cavallo widmen ihre Porträts von 100 aussergewöhnlichen Frauen allen rebellischen Mädchen dieser Welt. "Good Night Stories for Rebel Girls" inspiriert Mädchen und Frauen ab sofort auch auf Deutsch, grösser zu träumen, höher zu zielen und entschlossener zu kämpfen! Eine Welle der Unterstützung "Good Night Stories for Rebel Girls" ist ein besonderes Buch - schon in seiner Entstehung. Die beiden Autorinnen konnten das englische Original dank einer noch nie dagewesenen Crowdfunding-Aktion realisieren. Über 20'000 Unterstützerinnen und Unterstützer investierten über eine Million U.S. Dollar in dieses Projekt. Vor Kurzem lief das Crowdfunding für Band 2 - natürlich erfolgreich. Pionierinnen, Heldinnen, Kämpferinnen Die 100 Geschichten über 100 beeindruckende Frauen liefern uns ein vielfältiges Panorama von Pionierinnen, Heldinnen, Kämpferinnen, die Aussergewöhnliches erreicht haben. Die Frauen leben oder lebten in so unterschiedlichen Epochen wie Kleopatra (69 vor Christus - 30 vor Christus) und Malala (*1997). Sie brillierten oder brillieren in so unterschiedlichen Bereichen wie Frida Kahlo (Malerin), Michelle Obama (Anwältin und First Lady), Steffi Graf (Tennisspielerin) und Astrid Lindgren (Schriftstellerin). Und sie stammen oder stammten aus so unterschiedlichen Regionen wie Sophie Scholl (Deutschland), Aung San Suu Kyi (Myanmar/Burma) und Nina Simone (USA). Jeder Frau ist eine Doppelseite gewidmet. Dem Text steht eine ganzseitige Illustration von einer der über sechzig Künstlerinnen aus aller Welt gegenüber. Einige Beispiele, die Lust auf mehr machen Über Nellie Bly (Reporterin, USA, 1864-1922) erfahren wir, wie es dazu kam, dass sie schneller als "In 80 Tagen um die Welt" reisen wollte - also schneller als Professor Phileas Fogg, der Romanheld von Jules Verne. Matthew Goodman hat mit "In 72 Tagen um die Welt" ein ganzes Buch über dieses Wettrennen geschrieben – sehr lesenswert! Der Titel verrät es, sie hat es tatsächlich geschafft, 72 Tage, 6 Stunden und 11 Minuten nach dem Einschiffen kam sie wieder in New York an. Wahrhaftig eine rasende Reporterin. Von Frida Kahlo (Malerin, Mexiko, 1907-1954) wissen wir nach der Lektüre, weshalb sie um ein Haar nicht zu einer der berühmtesten Malerinnen des 20. Jahrhunderts geworden wäre. Welche Haustiere sie hatte und gerne in ihren Gemälden abbildete, erfahren schon Kinder ab 4 Jahren im neuen Bilderbuch "Frida Kahlo und ihre Tiere" aus dem NordSüdVerlag. Für Erwachsene empfiehlt sich die kürzlich erschienene Graphic Novel "Frida. Ein Leben zwischen Kunst und Liebe" von Vanna Vinci (mehr dazu findet ihr auch bei letteraturen). Jetzt wissen wir es: "Streiche denkt man sich nicht aus. Sie passieren einfach." Gesagt hat das Astrid Lindgren (Schriftstellerin, Schweden, 1907-2002) und sie wusste es aus eigener Erfahrung, denn sie war ziemlich rebellisch. Klar, nach der Lektüre dieses Porträts greifen wir sofort wieder ins Regal zu "Pippi Langstrumpf" oder wir besorgen uns sogar die "Ur-Pippi", die noch rebellischer, noch frecher, noch unerschrockener war als die Pippi, die wir alle aus unserer Kindheit kennen. Besonders gefreut habe ich mich, Helen Keller (Schriftstellerin, USA, 1880-1968) unter den aussergewöhnlichen Frauen wiederzuentdecken. Habe ich doch als Primarschülerin zum ersten Mal von ihr gehört bzw. gelesen und war tief beeindruckt von diesem tauben und blinden Mädchen, das sich mithilfe ihrer Lehrerin Anne doch die Sprache angeeignet hat und sogar Schriftstellerin wurde. Kein Wunder, gibt es neben verschiedenen Biographien einen ganzen Spielfilm über sie. Wer sie sprechen hören möchte, kann das auf youtube tun. Fazit Die 100 Geschichten zeigen eine unglaubliche Palette an starken, rebellischen Frauen aus aller Welt, die Hürden überwunden, Schicksalsschläge weggesteckt, Schlechtes in Gutes verwandelt, gekämpft, gelebt, andere mit ihrer Neugier angesteckt und motiviert haben. Das Forbes Magazine hält zu Recht fest: "Dieses Buch gehört auf den Nachttisch jedes Mädchens und jeder jungen Frau." Hat man erst einmal angefangen, kann man nicht mehr aufhören mit diesen besonderen "Gutenachtgeschichten" über beeindruckende Frauen. Ist man in Windeseile fertig mit dem Buch, möchte man über jede der Frauen noch so viel mehr erfahren. "Good Night Stories for Rebel Girls" ist, was es sein möchte: inspirierend. Und Bropunzel müsst ihr zum Abschluss einfach noch kennenlernen! Die Fakten Good Night Stories for Rebel Girls – 100 aussergewöhnliche Frauen Elena Favilli, Francesca Cavallo Übersetzung: Birgitt Kollmann Hanser Verlag 224 Seiten Erschienen am 25.09.2017 ISBN 978-3-446-25690-3 Ab 12 Jahren Herzlichen Dank an den Hanser Verlag für das Rezensionsexemplar. Leseprobe und mehr beim Hanser Verlag. Website der Rebel Girls Rebel Girls auf Facebook Rebel Girls auf Instagram Reihe: Klischeefreie Kinderbücher Mehr zum Thema klischeefreie Bücher erfahrt ihr bald in einem allgemeinen Artikel zum Thema. Weitere Kinderbücher, die sensibel gegenüber Geschlechterrollen, Familienformen und verschiedenen Kulturen sind, präsentiere ich euch ab jetzt in loser Folge hier auf dem Blog. Bereits erschienene Buchtipps findet ihr unter den ähnlichen Beiträgen.

  • Der Natur auf der Spur

    Wie bringt ihr euren Kindern die Natur und Themen wie Umwelt und Klima näher? Klar, mit einem Waldspaziergang, dem Stauen von Bächlein, der Aufzucht von Raupen oder mit fleissigem Recycling. Da gibt es im Alltag genügend Möglichkeiten, Kinder schon ab frühester Kindheit für unsere Umwelt und den schonenden Umgang mit ihr zu sensibilisieren. Schön ergänzen lässt sich das mit den passenden Kinderbüchern. Fünf unserer Lieblinge stellen wir euch heute vor. Doch bevor wir zwischen die Buchdeckel schauen, habt ihr euch schon überlegt, ob eure Bücher umweltfreundlich sind? Ich bisher nicht, aber ich habe etwas recherchiert und mit Schrecken festgestellt, dass offenbar nicht alle Bücher auf FSC-zertifiziertem Papier gedruckt werden (vgl. Beitrag von WWF Schweiz). Etwa zehn Prozent enthalten Tropenholz. Und dieses stammt wiederum oft aus Raubbau. Von jetzt an werde ich nicht nur auf die Bilder im Buch achten, sondern auch auf sauberes Papier. Aber nun auf in die Natur! Es wimmelt und wuselt Wer hat nicht schon in einem Ameisenhaufen herumgestochert als Kind? Oder wurde von fiesen roten Ameisen angepinkelt? In Anne Möllers Buch "Bei den Ameisen" (hier in der Version als kleines Pappbilderbuch) erfahren Kinder ab drei Jahren, wie es im Ameisenhaufen so zu- und hergeht, wie Ameisen Futter finden, was sie essen und wie sie ihre Jungen grossziehen. Damit gelingt mit detailreichen und naturgetreuen Illustrationen ein erstes Herantasten an den Kreislauf der Natur. Kinder erkennen, welch grosse Bedeutung selbst dem kleinsten Lebewesen zukommen kann. Mit süssen Nagern durchs Jahr Dem Charme von Eichhörnchen kann wohl niemand widerstehen, erst recht nicht, wenn sie in einem so grandios illustrierten Sachbilderbuch wie "Das Eichhörchenjahr" von Eva Sixt daherkommen. Kinder ab fünf Jahren erfahren in diesem Buch, wie Eichhörnchen ein Nest bauen oder sich einen Vorrat für den Winter anlegen. Und sie erkennen die Rolle der Eichhörnchen bei der Verbreitung von Nüssen und Samen, aus denen dann wieder Bäume oder Sträucher wachsen. Das Buch gibt auch Tipps, wie die Kinder und ihre Eltern den Eichhörnchen helfen können. Mehr über "Das Eichhörnchenjahr" aus dem Atlantis Verlag erfahrt ihr im ausführlichen Blogbeitrag. Die Architekten der Natur Und wir widmen uns nochmals kleinen, aber ganz nützlichen Tierchen, den Bienen: Mit dem Sachbilderbuch "Bienen" hat Piotr Socha einen Schatz für Kinder ab 6 Jahren geschaffen! Das Buch kommt im Grossformat daher und gross und detailreich sind auch die Illustrationen auf den 32 Doppelseiten. Kleine Textabschnitte, die vor Humor nur so strotzen, ergänzen die Bilder. So bietet es Informationen zu zahlreichen Themen rund um die kleinen Insekten: von der Bestäubung, über Bienentänze, bis zu ihrer Bedeutung für die Architektur und zum traurigen Thema des aktuellen Bienensterbens. Kein Wunder ist das Sachbilderbuch aus dem Gerstenberg Verlag nominiert für den Kinder- und Jugendliteraturpreis 2017. Artenvielfalt und Evolution Auch dieses Sachbilderbuch aus dem Prestel Verlag kommt im Grossformat daher. Bei Katie Scott und Jenny Broom heisst es für Kinder ab 8 Jahren: Ab ins Museum - immer und immer wieder, rund um die Uhr und erst noch gratis! In "Das Museum der Tiere" kriegen wir sie alle zu sehen: Wirbellose, Fische, Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere. Und das unglaublich schön illustriert. Spannende kurze Textpassagen zur Entwicklung der Arten und Bildlegenden begleiten die über 160 Abbildungen. Ein bildgewaltiges Plädoyer für die Wertschätzung und den Schutz der Artenvielfalt - ein Kunstwerk! Einen kleinen Einblick ins Museum erhaltet ihr auf meinem Instagram-Profil. Mensch und Natur im (Un-)Gleichgewicht Ihr kennt bestimmt, den Ausspruch, dass ein Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien, einen Tornado in Texas auslösen kann. Genau solchen Zusammenhängen nimmt sich das Buch "Der Dominoeffekt oder Die unsichtbaren Fäden der Natur" aus dem Sauerländer Verlag an. Gianumberto Accinelli erzählt 18 Geschichten über Eingriffe in die Natur und was wir damit auslösen können. Ja, wie wir sogar das Weltgeschehen verändern! Serena Viola hat das Sachbuch mit den historischen Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnissen zudem wunderbar künstlerisch illustriert. So ziehen sich tatsächlich feine Linien wie Fäden durch das Buch für Kinder ab 9 Jahren. "Der Dominoeffekt" ist übrigens der Klima-Buchtipp dieses Monats und steht auf der Longlist 2017 der "Wissensbücher des Jahres". Kleiner Tipp: Werft auch mal einen Blick auf den Blog der Übersetzerin dieses Werks: Letteraturen von Ulrike Schimming. WWF-Kampagne: Schütze die Welt, in die unsere Kinder geboren werden! Dieser Blogbeitrag entstand in Kooperation mit WWF Schweiz. Er ist mein Beitrag zur Kampagne zum Thema Meer, Klima und Wald und Teil der Blogparade, die heute startet. Ich hoffe, damit einige Anregungen geben zu können, um mit euren Kindern oder in Kita, Kindergarten und Schule das Thema Umweltschutz aufzugreifen. Wer sich für Fachliteratur zur Umweltbildung interessiert, dem sei die Fokuspublikation Umweltbildung in der frühen Kindheit des Netzwerks Kinderbetreuung und der Schweizerischen UNESCO-Kommission empfohlen. #forgenerationstocome Auch meine Bloggerkolleginnen Moana von Miss Broccoli und Deborah von mama rocks erzählen euch, was sie tun, um kommenden Generationen eine lebenswerte Welt zu hinterlassen. Was tut ihr #forgenerationstocome? Hinterlasst mir unten einen Kommentar oder teilt es mit diesem Hashtag in euren Social-Media-Kanälen.

  • Hat er's vermasselt?

    George Watsky - bekannt als Rapper, Poetry Slammer und Schauspieler - gibt mit 13 Stories in "Wie man es vermasselt" sein Prosa-Debüt. Gelingt ihm das oder hat er's vermasselt? Die Aufmachung klingt spannend, ein Lyriker mit sagenhaftem Tempo (siehe youtube-Video weiter unten) wagt sich in Form von 13 Stories an literarisches Werk. "Wie man es vermasselt" erscheint heute, 23. August 2017, beim Diogenes Verlag. Da erwarte ich Texte, die wie aus der Pistole geschossen kommen, die überraschen - zum Beispiel mit neuen Wörtern, mit Slang, mit eigenwilligem Stil. Salopp gesagt: Texte, die richtig reinknallen. Und der Klappentext schraubt die Erwartungen weiter hoch: "Brutal ehrlich und brüllend komisch (...) und sprachlich brillant" sollen Watskys Texte aus seinem Leben oder vielmehr von seinem Scheitern sein. Hmmm... So begeistert kann ich von meiner Leseerfahrung leider nicht berichten. Die Geschichten sind mir sowohl inhaltlich als auch sprachlich zu zahm. Ich finde in den 13 Erzählungen nicht wirklich Geschichten vom Scheitern - oder höchstens im kleinen, mehr oder weniger banalen Ausmass. Na gut, ein Autor muss ja nun nicht die unglaublichsten Geschichten vom Versagen auspacken, wenn es sie nicht gibt. Aber Titel und Klappentext wecken nun mal diese Erwartung. Sprachlich hat mich Watsky leider auch nicht überrascht. Schwer zu sagen, ob das nun alles in der Übersetzung verloren gegangen ist oder ob er auch im Amerikanischen auf altbewährtem Terrain bleibt. Interessant wäre es bei einem solchen Buch gewesen, einen Teil des Originals ins Deutsche hinüberzuretten, wie es "letteraturen" in ihrer Rezension von "The Hate U Give" beschreibt (Gegen den Hass, 8. August 2017). Das klingt jetzt etwas nach Verriss, soll es aber nicht sein. Als ich meine falschen Erwartungen erst mal abgelegt habe, habe ich nämlich so einiges genossen an dem Buch. Der Einblick in das Erwachsenwerden eines berühmten Rappers, das eigentlich fast langweilig normal verlief, - das Bisschen Drogenkonsum und eine verranzte Wohnemeinschaft schocken wohl niemanden - ist schon wieder erfrischend unaufgeregt. Die sanften Töne trifft Watsky sehr gut. Besonders beeindruckt hat mich "Welches Jahr haben wir?", in dem er von seiner Epilepsie berichtet. Hier gibt er seinen Leserinnen und Lesern einen sehr persönlichen Einblick in seine Krankengeschichte, liefert gleichzeitig medizinische Hintergrundinformationen und schafft einen geschichtlichen Bezug. Dramaturgisch am besten gefällt mir mit Abstand "Guter Fang!". In dieser Story wechselt er in immer kürzer werdenden Abschnitten hin und her zwischen zwei Geschichten, die eines gemeinsam haben: ebendiesen guten Fang - sei es nun eine adrette Flugzeugbekanntschaft oder ein Alaska-Lachs. Hier funktioniert der Spannungsbogen und Watsky bringt durch die immer rascheren Wechsel Tempo in die Geschichte. Auch die Eröffnung mit "Stosszahn" bietet eine amüsant-dramatische Abenteuergeschichte, die sogar kurzzeitig übers Gefängnis führt. In den weiteren Geschichten hätte ich mir erhofft, noch mehr darüber zu erfahren, wie George vom normalen Schuljungen zum Rapper, Poetry Slammer und Schauspieler geworden ist. Das ist in "Fa kiu" zwar angerissen, bleibt aber eher oberflächlich. Die Herausforderung, in 13 autobiographischen Stories alles zu sein - sensibel, cool, ironisch, witzig und sprachlich brillant - ist aber vielleicht auch einfach zu gross. Fazit George Watsky hat sein literarisches Debüt nicht vermasselt. Besonders die sanfteren Saiten zupft er gekonnt. Dort wo er versucht, frech und rotzig zu sein, geben entweder die Geschichten nicht genug her oder er müsste sprachlich einen Zacken zulegen. Für den Zweitling bleibt also durchaus noch Luft nach oben - vor allem in Sachen Sprachwitz. In der Zwischenzeit geniessen wir doch seine rasanten und intelligenten Videos. Die Fakten Wie man es vermasselt George Watsky Diogenes Verlag 336 Seiten Erschienen am 23.08.2017 Leseprobe und mehr bei Diogenes George Watsky auf Instagram George Watsky auf Facebook George Watsky auf Youtube George Watsky raps fast Herzlichen Dank an den Diogenes Verlag für das Leseexemplar.

  • Ein Grossmami für Mimi

    Mit "s'Postfächli 737" von Simon Libsig und Nicolas d'Aujourd'hui zeige ich euch nicht nur ein Bilderbuch auf Schweizerdeutsch, sondern starte auch eine neue Serie zu Kinderbüchern ohne Klischees. Zuerst zum Inhalt: Primarschülerin Mimi mit der wilden roten Mähne wünscht sich nichts sehnlicher als ein Grossmami. Von ihren Klassenkameraden weiss sie, dass Grosis ganz toll sind: Sie sind weich beim Umarmen, sie kochen ganz fein, sie können zaubern und sind auch sonst gerne in jeder Lebenslage behilflich. Die Bekanntschaft zwischen Mimi und Frau Meier, der Kioskfrau, fängt eigentlich gar nicht gut an. Denn Frau Meier erwischt Mimi beim Schleckzeugklauen. Zur Strafe muss Mimi fortan Frau Meiers Postfach 737 leeren. So sehen sich die beiden regelmässig, Mimi erfährt, wie einsam sich Frau Meier fühlt. Gleichzeitig zeigt Frau Meier Mimi, wie man die kaum zu bändigenden Haare ganz einfach in den Griff kriegt. Ausserdem hat sie immer ein offenes Ohr, zaubert für Mimi und umarmt sie, wenn sie mit einer schlechten Note aus der Schule kommt. Langsam freunden sich die beiden an. Als dann noch Frau Meiers Kiosk abgerissen wird, rücken die beiden noch näher zusammen, vereint gegen den Feind, die Bagger! Und so kommt Mimi zu einem neuen Grossmami. Zugegeben "s' Postfächli 737" ist kein typisches Kinderbuch, das Geschlechterklischees und traditionelle Rollenbilder oder Familienformen sprengt. Man erkennt es nicht sofort als ein sogenannt nicht-normatives Buch. Trotzdem gehört es für mich in dreierlei Hinsicht in in diese Kategorie: Das Wichtigste an einem guten Grossmami ist nicht die Blutsverwandtschaft, sondern dass jemand diese Rolle ausfüllen kann. Da ist, Geborgenheit gibt und auch ein bisschen den richtigen Weg weist. Nur weil jemand alt ist, heisst das nicht, dass er oder sie nicht auch cool sein kann. Auch Grossmütter können den Glockenabsprung! Das Aussehen oder in diesem Fall die Haare können schon mal zur Herausforderung werden. Besonders wenn die Schulgspändli einen der Haare wegen ausgrenzen. Mit etwas Rückendeckung und guten Tipps vom Grossmami lernt Mimi, sich so anzunehmen, wie sie ist und trägt ihre Mähne bzw. ihr "Bürzi" mit Stolz. Fazit Neben den lustigen Illustrationen und der schönen Geschichte über eine besondere Freundschaft lebt dieses Kinderbuch ganz stark von der rhythmischen Sprache des Poetry Slamers Simon Libsig: "Scho gli het's rundume nurno gschmatzt und gschlürft und gschlabberet, s'het gschläcket, gsuggelet und gsüderet." Und zu guter letzt ist es eine schöne Abwechslung, ein Buch mal in der Muttersprache vorzulesen! Die Fakten s'Postfächli 737 Simon Libsig & Nicolas d'Aujourd'hui nix-productions 56 Seiten Erschienen am 12.12.2014 Das Buch ist nur direkt beim Verlag oder in der Buchhandlung Librium in Baden erhältlich. Simon Libsig auf Facebook Librium - Die Buchhandlung auf Facebook Reihe: Klischeefreie Kinderbücher Mehr zum Thema klischeefreie Bücher erfahrt ihr bald in einem allgemeinen Artikel zum Thema. Weitere Kinderbücher, die sensibel gegenüber Geschlechterrollen, Familienformen und verschiedenen Kulturen sind, präsentiere ich euch ab jetzt in loser Folge hier auf dem Blog.

  • Mit dem Lada in die Walachei

    "Tschick" - der Roman von Wolfgang Herrndorf - ist wie ein Kopfsprung ins Ungewisse. Rasant, witzig, spannend. Kurz: äusserst lesenswert! Ein Lesegenuss wie gemacht für den Sommer. Tschick heisst eigentlich Andrej Tschichatschow und ist der Neue in der 8. Klasse von Maik Klingenberg, seines Zeichens Langweiler aus gutem Hause, aber zerrütteter Familie. Niemand mag Tschick, auch Maik anfangs nicht. Dennoch wehrt sich Maik nicht lange, als Tschick ganz selbstbewusst in sein Leben tritt und ihn mit einem blauen, geklauten Lada Niva mit in ein Abenteuer nimmt - auf einen Road-Trip durch Deutschland. Ziel: Walachei - wo auch immer das sein mag. Hauptsache mal nicht als Langweiler dastehen, besonders nicht vor Tatjana, Maiks Schwarm. Also wird der Lada kurzerhand - ganz zweckmässig versteht sich - beladen und los geht es. Und wie kommt man jetzt in diese sagenumwobene Walachei? Landkarte und Kompass waren gestern, die beiden Gymnasiasten verlassen sich ganz auf ihr Gefühl und den Zufall. Da sind Umwege und kleinere bis grössere Zwischenfälle natürlich vorprogrammiert: Von nervigen Polizisten, über Müllberg-Schönheiten und schiesswütige Kommunisten, bis zu hilfsbereiten Nilpferden gibt's in diesem Buch alles. Wolfgang Herrndorf lässt uns aus der Perspektive von Maik, dem Ich-Erzähler, eintauchen in die Gefühlswelt eines Jugendlichen, ohne dabei gefühlsduselig zu sein. Er nimmt den Jargon der Jungen auf, ohne dass es ins Peinliche kippt. Er lässt die beiden Antihelden grandios scheitern, ohne sie zu blamieren. Klar sind einige Wendungen nicht total realistisch, aber trotzdem nimmt man sie dem Autoren ab. Und am Ende ist es auch einfach ein Buch über die Freundschaft. Ganz minim überzeichnet ist vielleicht die Unwissenheit von Maik, was Gesetze, Polizei und Justiz angeht. Aber wer weiss, vielleicht entspricht sogar das zu Zeiten von "Barbara Salesch" der Realität. Auch die Sprache überzeugt mit den knappen, kurzen Sätzen, scheinbar locker dahingeschrieben, mit absichtlichen Fehlern, wie sie in einem Schüleraufsatz auftauchen würden. Erfrischend bodenständig. Kein Wunder, kürte Martin Ebel vom Tagesanzeiger Herrndorfs Roman zu einem der 17 Klassiker des 21. Jahrhunderts (Artikel vom 5. Juli 2017, nur für Abonnenten kostenlos). Fazit In diesem Jugendroman, den auch Erwachsene gerne lesen, ist alles dabei: Spannung, Witz, Alltagssorgen von Heranwachsenden und fast sowas wie eine Liebesgeschichte. Mit viel lakonischem Humor, Ironie und Einfühlungsvermögen fesselt uns Wolfgang Herrndorfs "Tschick" von der ersten bis zur letzten Seite. Mit Maik und Tschick rasen wir durch Deutschland, immer weiter und weiter, ohne Pause. Es könnte immer so weiter gehen... Und am Ende möchte man gleich wieder von vorne beginnen! Die Fakten Tschick Wolfgang Herrndorf Rowohlt 365 Seiten (in der Taschenbuchversion) Erschienen am 17.09.2010 Leseprobe und mehr von "Tschick" bei Rowohlt "Tschick" - der Film Rowohlt auf Instagram Rowohlt auf Facebook Rowohlt auf Twitter

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