Die letzte Reise
Lucy Fricke nimmt uns in "Töchter" - das sind Betty und Martha - mit auf eine Reise: scheinbar in die Schweiz, scheinbar zum Sterben. In Wahrheit? Zu sich selbst und zu ihren Vätern. Klingt dramatisch? Ist es teilweise, aber es ist auch witzig, zynisch, gnadenlos ehrlich.
Unverhofft kommt oft
Betty ist eigentlich gerade in Italien, sitzt in Rom fest. War auf dem Weg in ein abgelegenes Städtchen in den Bergen, in dem ihr Vater gelebt haben soll und in dem er seit 10 Jahren begraben sein soll. Mit Betonung auf soll. Und mit dem "Vater" ist es auch so eine Sache. Denn es geht hier nicht um ihren biologischen Vater, sondern um ihren liebsten Vater, den Vater, den sie vergöttert, ihren Herzensvater gewissermassen. Betty hat noch ein paar andere Väter, aber das erfahrt ihr im Buch.
"Also hatte ich mich auf den Weg gemacht, nach zehn Jahren konnte man sich so langsam auf den Weg machen, hatte ich gedacht..." (S. 8)
Und nun zum "eigentlich". Betty bekommt nämlich einen Anruf von Martha, ihrer besten Freundin, ebenfalls um die 40, ebenfalls mit - sagen wir - speziellem Verhältnis zu ihrem Vater. Ebendieser Vater liegt nun im Sterben und möchte von seiner Tochter in die Schweiz begleitet werden, um dort mit einer Sterbehilfeorganisation aus dem Leben zu scheiden. Martha möchte ihrem Vater Kurt diesen letzten Wunsch erfüllen. Sie traut sich das alleine aber nicht zu, braucht Betty als moralische Unterstützung und als Fahrerin. Betty macht sofort kehrt und eilt Martha zu Hilfe. Ein Stück weit erleichtert, sich dem Grab des idealisierten Vaters doch (noch) nicht stellen zu müssen.
Roadtrip der Gefühle
Es beginnt ein Roadtrip mit völlig ungewissem Ende, denn die Schweiz ist schnell nicht mehr das Ziel des Trios, weiter geht es nach Italien, von da fast fluchtartig auf eine griechische Insel. Die treibende Kraft? Vorerst der todkranke Kurt, dann Betty und die Suche nach ihrem vergötterten Vater, der vielleicht doch nicht so tot ist, wie es den Anschein macht und schliesslich die Suche nach der Liebe, nach Geborgenheit, nach sich selbst.
Während der Reise erfahren wir viel über Bettys und Marthas Beziehungen zu ihren Eltern. Gelinde gesagt sind die Verhältnisse ziemlich zerrüttet. Die Eltern und ihre Töchter sprechen nicht dieselbe Sprache, haben völlig unterschiedliche Vorstellungen von der Rolle des jeweils anderen, fühlen sich missverstanden und Kümmern sich gleichzeitig nicht wirklich um das Wohl ihrer Mitmenschen, glänzen mehr durch Abwesenheit als durch Aufmerksamkeit. Und das macht die Suche der beiden Frauen in der Mitte ihres Lebens nach einem Sinn, einem Platz im Leben nicht gerade einfacher. Aber umso spannender, sie in Buchform dabei zu begleiten. Hauptthema neben den Eltern? Die Männer - mal in Form der Väter, mal in Form von potenziellen Ehemännern und/oder Väter eigener Kinder.
"... und leider war es so, dass ich an diesem Mann auf ungute Weise hing, ihn nahezu vergötterte. So etwas konnte irgendwann zu einem Problem werden, wie eigentlich alles irgendwann zu einem Problem werden konnte, besonders die Liebe, besonders die Männer." (S. 7f.)
Fazit
Beim Lesen von Lucy Frickes "Töchter" hatte ich direkt die bewegten Bilder vor mir: Der Roman schreit förmlich nach einer Verfilmung! Es wird nie langweilig, witzige, skurrile Stellen wechseln sich mit tiefgründigen, gefühlvollen Passagen ab. Die Autorin würzt das Ganze mit dem richtigen Mass an Spannung, die uns durch die Seiten treibt wie der klapprige Golf das Trio über die Landstrassen. Und sie versteht es, die Gefühle, ja das Lebensgefühl der Protagonistinnen völlig schnörkellos zu vermitteln. Dieses Buch gehört zu diesem Sommer wie die Sonne an den blauen Himmel. Unbedingte Leseempfehlung!
Die Fakten
Töchter
Lucy Fricke
Rowohlt Verlag
240 Seiten
Erschienen am 20.02.2018
ISBN: 978-3-498-02007-1
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